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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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sie am Rand eines Abgrunds zurücklassen könnte.
    Â»Es kommt sicherlich ein Punkt, an dem du dich in das Unvermeidliche fügen mußt.«
    Sie konnte nicht antworten. Obwohl sie tief in ihrem Innern ahnte, daß Daniel recht hatte, brachte sie es noch nicht über sich, dies zuzugeben.
    Â»Wieviel verlangt dieser Anwalt?«
    Â»Fünfundzwanzig Guineen für ein Vorgespräch. Deswegen muß ich abends arbeiten. Ich habe für Ende des Monats einen Termin vereinbart.«
    Â»Ich kann dir die fünfundzwanzig Guineen geben, Thomasine. Ich habe heute morgen einen Scheck vom Verlag bekommen.«
    Sie sah von ihm weg. Der Mond war eine silberne Sichel am Himmel, und die Räume zwischen den tintenschwarzen Wolken waren mit Sternen übersät. »Nein«, antwortete sie leise.
    Â»Warum nicht? Ich bin nicht altruistisch, Thomasine – es ist nur, daß es mir nicht gefällt, dich wie ein Teenager für zehn Minuten in einem eisigen Hauseingang zu treffen.«
    Ã„rgerlich erwiderte sie: »Hättest du denn von mir Almosen angenommen, Daniel, als ich viel und du nichts hattest? Als wir in Drakesden wohnten und ich Lady Blythe und du nur ein Kleinbauer warst?«
    Â»Mein Gott – das ist doch nicht das gleiche …«
    Â»Natürlich ist es das gleiche! Es ist ganz genau das gleiche! Oder darfst du Stolz haben, ich aber nicht?«
    Â»Ach, verdammt!« Die Hände tief in den Taschen vergraben, verließ er den Hauseingang. Spitzenvorhänge bewegten sich, und neugierige Gesichter sahen heraus, nachdem sie lauter gesprochen hatten. Am Ende der Straße sah Thomasine die plumpe Gestalt ihrer nächsten Schülerin, die in Begleitung ihrer Mutter auf sie zukam.
    Â»Es ist nicht das gleiche«, fügte Daniel störrisch hinzu, »weil ich dachte, daß jetzt etwas zwischen uns ist. Was es anders macht.«
    Sie wandte sich ihm zu. »Begreifst du denn nicht«, zischte sie, »daß es deshalb ganz unmöglich ist, daß ich Geld von dir annehme, Daniel? Völlig unmöglich?«
    Fast mit Gewalt stieß sie die Tür auf. Während sie sich bemühte, für ihre Schülerin eine freundliche Miene aufzusetzen, hörte sie das Dröhnen der Enfield, als Daniel die Straße hinunterbrauste.
    Ende November fuhr Daniel nach Drakesden zurück. Der Streit mit Thomasine, der nur oberflächlich und unzureichend wieder beigelegt worden war, und die Fertigstellung seiner Arbeit vermittelten ihm ein Gefühl der Leere, machten ihn ruhelos und unfähig, sich auf etwas zu konzentrieren.
    Seit April war er nicht mehr in Drakesden gewesen. Damals hatte die Frühlingssonne die Schroffheit der Landschaft gemildert, und das weite Blau des Himmels hatte für die Eintönigkeit der flachen Felder und Wasserebenen entschädigt. Jetzt war der Himmel stählern grau, mit Wolken verhangen und bedrohlich, ohne daß es regnete. Ein tückischer Wind blies ihm trotz seiner Brille Staub in die Augen, als er mit dem Motorrad durchs Dorf und über den Weg zur ehemaligen Schmiede fuhr.
    Wie immer wurde er von Harry und Annie herzlich begrüßt. Er begutachtete das Baby, das inzwischen achtzehn Monate alt war und auf wackeligen Beinchen zielstrebig durch die Küche marschierte, und aß das Essen, das Annie ihm kredenzte. Es war immer noch seltsam, in seinem einstigen Haus zu Gast zu sein, doch Daniels Meinung nach gab es kaum noch Spuren seines früheren Lebens hier. Er verwechselte die Frau, die jetzt am Herd kochte, nicht mit jener anderen dunkelhaarigen, verführerischen. Die Dockerills hatten neue Möbel gekauft und das Haus umgestaltet: Vergangene Erinnerungen – der Klang des Schmiedehammers in dem wiedererrichteten Anbau, das Geräusch eines Fahrrads auf dem schlammigen Pfad – kamen nicht mehr zurück.
    Nach dem Essen, während das Baby schlief, machte Daniel mit Harry einen Rundgang über die Felder. Der schmale Landstreifen zwischen Hof und Deich lag brach, da der Boden inzwischen ständig mit Wasser vollgesogen war. In der Mitte seines größten Felds standen noch immer die schwarzen Äste wie Klauen aus der Erde heraus. Harry baute keinen Weizen mehr an: Während des Sommers wuchsen Blumen, Früchte und Kartoffeln auf dem Land und im Winter Sellerie und Wurzelgemüse. Harry schwärmte von seinen Nelken und Erbsen. Im Moment wiegten Chrysanthemen, die er versuchsweise angepflanzt hatte, ihre

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