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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Gehrock und eine bestickte Weste.
    Â»Miss Thorne.« Er schüttelte Thomasine die Hand und nahm einen Stoß Bücher von einem Stuhl. »Nehmen Sie Platz. Ich kenne Ihren Exehemann flüchtig, Miss Thorne. Sir Nicholas’ Vermögensverwalter, Max Feltham, ist ein Bekannter von mir.«
    Sie spürte die Intelligenz unter dem leicht genialischen, ein wenig schlampigen Äußeren. Nachdem sie tief Luft geholt hatte, sagte sie: »Sie wissen aus meinem Brief, daß ich bei Ihnen bin, um mir wegen der Rückforderung des Sorgerechts für meinen Sohn Rat zu holen. Ich sollte Ihnen vielleicht sagen, daß ich bereits bei verschiedenen anderen Anwälten gewesen bin, wo mir erklärt wurde, daß meine Anstrengungen zwecklos seien. Ich glaube, Sie sind meine letzte Hoffnung.« Das war die Wahrheit, dachte sie. Wie Daniel gesagt hatte, gab es einen Punkt, von dem ab man sich ins Unvermeidliche fügen mußte.
    Â»Dann werde ich mich bemühen, mein Bestes für Sie zu tun, Miss Thorne. Ich werde den Heizer höher stellen und mir einen freien Stuhl suchen. Und dann könnten Sie mir die Angelegenheit vielleicht ein bißchen genauer erklären.«
    Wieder erzählte sie einem wildfremden Menschen von Paris und Clive, von dem Baby und Alice. Wie immer fühlte es sich an wie eine Vergewaltigung. Als sie fertig war, sah sie trotzig zu ihm auf und erwartete, wie immer, Verurteilung und Verdammung.
    Sir Alfred putzte mit einem zerknitterten Seidentaschentuch sein Monokel. Er sagte: »Ich habe vier Töchter, Miss Thorne, alle jünger als Sie. Meine Frau und ich waren immer offen und ehrlich mit ihnen. Ich habe nie einen Sinn darin gesehen, absichtlich Unwissenheit zu fördern – in keinem Bereich. Es wäre so, als schickte man einen Soldaten in die Schlacht, ohne ihm zu sagen, wozu sein Bajonett dient.«
    Sie erwiderte sein Lächeln.
    Â»Tee, Miss Thorne?« fragte Sir Alfred Duke. »Und dann muß ich Ihnen ein paar Fragen stellen, fürchte ich.«
    Mehr als eine halbe Stunde lang stellte er ihr Fragen. Thomasine beobachtete, wie sich die Uhrzeiger voranbewegten, und dachte, fünfundzwanzig Guineen … siebenunddreißig … Schließlich stand er auf und ging zum Fenster. Die Sekunden verrannen, die teuer erkauften Minuten verstrichen.
    Schließlich hielt Thomasine die Spannung nicht mehr aus und platzte heraus: »Es ist hoffnungslos, nicht wahr? Ich vergeude Ihre Zeit.«
    Er drehte sich zu ihr um und schüttelte den Kopf. »Keineswegs, junge Dame, keineswegs.«
    Ihr Herz machte einen kleinen Sprung vor Freude. Sie durfte also hoffen. Aufgeregt faltete sie die Hände im Schoß. »Glauben Sie, Sie können mir helfen, Sir Alfred?«
    Â»Ich glaube schon. Es gibt … Möglichkeiten.«
    Sie spürte, wie sich unwillkürlich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. Die wiedererwachte Hoffnung ließ sie das feuchtkalte Winterwetter, das trostlose Grau des Himmels vergessen.
    Sir Alfred sagte: »Sie erwähnten, daß Ihr Gatte seit dem Krieg krank ist?«
    Â»Nicholas hat im Krieg schlimme Dinge erlebt. Er leidet immer noch an Neurasthenie – Bombenneurose.«
    Wieder schwieg der Anwalt, dann fragte er: »Und er befindet sich deswegen in Behandlung?«
    Â»Einmal im Monat sucht er einen Arzt in London auf. Dann ist William bei mir, während er beim Doktor ist. Nicholas hatte … eine Art Nervenzusammenbruch, nachdem ich von ihm fortgegangen bin. Ich vermute, das hat ihn gezwungen, irgendwas zu unternehmen. Früher hat er sich immer geweigert, sich ärztlich behandeln zu lassen.«
    Die onkelhafte Art des Anwalts ermutigte sie, mehr preiszugeben, als sie eigentlich beabsichtigt hatte. Seit vielen Jahren wußte sie, daß Nicholas sich wegen seiner Krankheit schämte, sie als unmännliche Schwäche ansah.
    Â»Ein Arzt …«, sagte der Anwalt nachdenklich. »Sie meinen doch wohl einen Psychiater, Miss Thorne?«
    Er hatte sich wieder am Schreibtisch niedergelassen. Thomasine nickte. »Ich verstehe nicht …« Sie brach unsicher ab.
    Â»Ich meine bloß, daß sich ihr Exmann, der das Sorgerecht für William besitzt, wegen Geisteskrankheit in Behandlung befindet. Man könnte vielleicht unterstellen, daß ein Mann mit krankem Gemüt nicht der ideale Erziehungsberechtigte für ein kleines Kind ist.«
    Leichter Regen trommelte gegen die Fensterscheiben,

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