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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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hätte haben wollen, warum hat sie dann bei der Scheidung nicht darum gekämpft? Warum sucht sie jetzt einen Anwalt nach dem anderen auf – was sie sich gewiß kaum leisten kann?«
    Â»Oh, sie hat sicher Geld genug! Frauen wie sie haben immer Geld.«
    Nicholas hielt inne, um sich eine weitere Zigarette anzuzünden. »Was meinst du damit?«
    Â»Sie hat sicher Verehrer, Nicky. Frauen wie sie haben das immer.«
    Die Augen seiner Mutter waren verkniffen, kleine blaue Höhlen in einem blassen, zerstörten Gesicht. Deutlich konnte er sehen, wie die Jahre sie verändert hatten – die Winkel ihrer Augenlider hingen nach unten, zwischen Nase und Mund hatten sich tiefe Falten eingegraben, so daß ihr Lächeln nicht länger ein Lächeln, sondern eine Grimasse war. Ihre einstige Schönheit war gänzlich verblichen und damit die Fähigkeit, ihre Gefühle zu verbergen.
    Â»Ich glaube, du hast Thomasine überredet, auf das Sorgerecht für William zu verzichten. Ich weiß nicht wie, aber ich glaube, genau das hast du getan.«
    Als sie sich ihm zuwandte, raschelte ihr Kleid, ein leises Flüstern blaßblauer Seide und cremefarbener Spitze. »Und wenn es so gewesen wäre, Nicholas? William gehört nach Drakesden. Es ist sein Erbe.«
    Â»Erbe!« Er lachte auf. »William kann von Glück sagen, wenn er außer einem leeren Haus und einem verwilderten Garten überhaupt etwas erbt.« Schließlich schaffte er es, seine Zigarette anzuzünden. »Thomasine hätte das Gut zusammengehalten. Ich kann es nicht.« Er inhalierte und stieß blauen Rauch durch die Nasenlöcher aus. »Wie hast du es geschafft, Thomasine dazu zu bringen, William aufzugeben?«
    Â»Sei nicht albern, Nicky. Und mach bitte ein Fenster auf. Der Rauch …« Sie hustete in ein Spitzentaschentuch.
    Er ging nicht darauf ein. » Sag es mir, Mutter.«
    Seine Stimme klang nicht mehr gelassen. Wenn er aufgestanden, zu ihr hinübergegangen und sie berührt hätte, hätte er ihre winzigen Knochen so fest gedrückt, bis sie vor Schmerz aufgeschrien, bis sie ihm die Wahrheit gesagt hätte. Also blieb er sitzen, beobachtete sie und gleichzeitig die Glut seiner Zigarette, die in seiner Hand zitterte. Seine Kopfschmerzen hatten wieder eingesetzt und ließen sich weder mit Zigaretten noch mit Kaffee vertreiben.
    Seine Mutter gab sechs Löffel Zucker in die winzige Porzellantasse. Die Flüssigkeit schwappte gegen den Goldrand. Trotzig sah sie zu Nicholas auf.
    Â»Thomasine war schwanger, als sie dich heiratete. Schwanger mit dem Kind eines anderen Mannes.«
    Obwohl Dezember war, standen einige der Pflanzen im Wintergarten in voller Blüte. Der Weihnachtskaktus, die Amaryllis, die Pantoffelblume und einige Orchideen. Grelle Pink-, Orange-, und Gelbtöne, die seinen Augen weh taten und seine Gedanken verwirrten.
    Nicholas flüsterte: »Ich glaube dir nicht … Thomasine war nicht so … Du hast sie immer gehaßt … Du lügst doch?«
    Â»Ich hab’s dir nicht gesagt, weil ich dachte, es könnte dich aufregen. Thomasine hat das Kind in einem frühen Stadium der Schwangerschaft verloren. Es ist unschön, über solche Dinge zu reden, aber vielleicht ist es besser, wenn du Bescheid weißt. Der Vater des Kindes war ein Schauspieler.«
    Langsam, ganz langsam begann ihm zu dämmern, daß sie die Wahrheit sagte. Es erklärte, was er nie verstanden hatte – es erklärte endlich, warum Thomasine ihn geheiratet hatte. Seine Gedanken rasten, stellten Verbindungen her, verknüpften plötzlich mit größter Leichtigkeit die verschiedenartigsten Fakten. Wie feurige Blitze schoß es ihm durch den Kopf, ihm wurde schlecht.
    Â»Schwanger … sie hatte einen Liebhaber  …« Er schloß die Augen und preßte die Fingerspitzen an die schmerzenden pochenden Schläfen. »Woher weißt du das? Wer hat dir das gesagt?«
    Wieder antwortete sie ihm nicht. Aber sie sah ihn ruhig an, und Nicholas verstand, daß ihr kurzes Sträuben nicht von ihren Schuldgefühlen herrührte, sondern von ihrem Widerwillen, über sexuelle Dinge zu sprechen.
    Â»Als wir die Sache besprachen, hat Thomasine eingesehen, daß William auf Drakesden Abbey aufwachsen sollte.«
    Nicholas sah sie verwundert an. »Ich fragte, wer es dir gesagt hat.«
    Ein kurzes Zucken der schmalen, seidenverhüllten Schultern.

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