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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Sohn. Während die Zweige brannten und Funken in den trüben Himmel sprühten, legte Thomasine die Hand auf Williams Schulter, um eine erste Verbindung mit ihm herzustellen. Doch er entzog sich ihrem Griff und rannte über die Stufen in das leere Haus zurück. Der Rauch über dem Feuer stieg auf und hüllte Gras und Bäume in Nebel.
    Manchmal träumte sie nachts davon – zwei gelbe glänzende Augen und ein offenes Maul, das nach ihr gierte. Dann schreckte sie auf, starrte erschrocken auf das Kind in seinem Bettchen und versuchte, die Kerze anzuzünden.
    Aber William war jedesmal in Sicherheit, und nur das Heulen des Windes war zu hören, der durch die Kamine strich. Abgesehen von William und ihr war das Haus nachts leer. Eingehüllt in Strickjacken, Schals und Decken, um sich vor der bitteren Kälte zu schützen, setzte sie sich in dem Pfostenbett auf, starrte in die Dunkelheit und dachte nach.
    Am Schluß war es einfach gewesen, ihren Sohn zurückzubekommen. Eine Reihe von Anwaltsbriefen waren geschrieben worden, und in einem dieser Briefe wurde ihr schließlich mitgeteilt, daß Lady Blythe keinen Versuch unternähme, das Sorgerecht für ihren Enkel einzuklagen. Diese Nachricht hatte ihr Sir Alfred Duke persönlich eröffnet, gemeinsam mit der anderen, noch unerwarteteren: Lady Blythe habe Drakesden Abbey verlassen, um bei ihrer Tochter Marjorie zu leben.
    Drakesden Abbey ging immer an den jeweils ältesten Sohn über, deshalb gehörte es jetzt William. Sir Alfred Duke hatte ihr eröffnet, daß sie, falls sie es wünsche, mit ihrem Sohn auf Drakesden Abbey leben könne. Sie konnte sich nicht sofort entscheiden. Aufgewühlt verließ sie das Büro des Anwalts und lag drei Nächte lang wach, um sich über alles klarzuwerden. Sie erinnerte sich an die vielen schlimmen Tage in der Abbey, aber auch an den Stolz, den sie empfand, nachdem sie gelernt hatte, mit dem schwierigen Land umzugehen. Sie erinnerte sich an die Abgeschiedenheit, die Rückständigkeit der Fens, aber auch an das weite, offene Land, das Gefühl der Freiheit. Sie dachte an ihren beruflichen Aufstieg, um den sie so lange und schwer gekämpft hatte, und an die Sicherheit, die das Einkommen ihr gab.
    Schließlich war sie Williams wegen doch zurückgegangen. Weil Drakesden Abbey während der ganzen Jahre seines kurzen Lebens sein Zuhause gewesen war, weil es nach den vielen Trennungen, die er durchmachen mußte, grausam gewesen wäre, ihn von dort wegzuholen. Und weil er ein Blythe war und die Blythes immer auf Drakesden Abbey gelebt hatten. Also hatte sie ihre Sachen gepackt, gekündigt und wieder von vorn angefangen. Wieder eine Reise, wieder ein unbekanntes Schicksal, das ihr bevorstand. Bloß daß sie diesmal, als sie am Bahnhof von Ely ausstieg, das Gefühl hatte, nach Hause zu kommen.
    Oft lag sie nachts wach und dachte über die Umstände von Nicholas’ Tod nach – an die gerade Straße, seine lange Fahrpraxis, die Tatsache, daß keine andere Person in den Unfall verwickelt gewesen war. An seinen plötzlichen und unerklärlichen Entschluß, an diesem Abend Drakesden zu verlassen, obwohl niemand wußte, wohin er wollte. Immer wieder fragte sie sich, ob Nicholas’ Tod tatsächlich ein Unfall gewesen war, wie die Untersuchung ergeben hatte, oder ob sich etwas viel Schrecklicheres dahinter verbarg. Sie hielt es durchaus für möglich, daß sich Nicholas das Leben genommen hatte, aber es gelang ihr nicht, sich den genauen Ablauf der Ereignisse vor seinem Tod vorzustellen. Es war, als wollte man ein Puzzle zusammensetzen, bei dem die Hälfte der Teile fehlte.
    So blieb sie wach und beobachtete, wie der Kerzenstummel herunterbrannte. Es gab Dinge, an die sie nicht denken durfte: Bilder von Betrug, Liebe und Tod. Ihre Aufgabe bestand im Moment nur darin zu überleben, für sich und ihr Kind Essen und Kleidung bereitzustellen und dafür Sorge zu tragen, daß sie es warm hatten. Ihr Leben war auf die elementarsten Notwendigkeiten zusammengeschrumpft, und sie war froh darüber. Es machte alles einfacher. Sie mußte sicherstellen, daß das verbliebene Land Gewinn abwarf, um sich und ihren Sohn die nächsten Jahre über die Runden zu bringen. Der Name des Drachen hieß jetzt Hunger, und sie allein war dafür verantwortlich, ihn auf Abstand zu halten.
    Schon eine Woche nach ihrer Rückkehr hatte sie

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