Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
sich gezogen. Aber am Schluß war Lally, ganz wie sie prophezeit hatte, weder zurück zu Lady Mary’s noch in eine andere Schule gegangen, sondern in Drakesden geblieben – ein kleines, pummeliges und ziemlich zielloses Wesen. Obwohl sie offiziell als debütiert galt, wurden keine Bälle oder Diners geplant, um Lallys Eintritt in die Erwachsenenwelt zu feiern. Zum einen hatte Drakesden Abbey wie so viele andere mittlere Güter finanzielle Schwierigkeiten, zum anderen brachte niemand der Blythes – einschließlich Lally selbst – die notwendige Begeisterung dafür auf.
    Die Ruhe auf Drakesden schien Nicholas’ Halluzinationen und seine Alpträume zu verschlimmern. Er gewöhnte sich an, seinen Zustand zu verbergen. Viele Male, wenn er am Tisch saß oder im Billardraum rauchte, sah er die Gräben, den Stacheldraht, den Schlamm und die anderen Greuel vor sich. Er lernte, seine Angst vor seiner Familie zu verstecken, sich zu zwingen, eine Unterhaltung oder ein Essen fast ohne Bruch durchzustehen. Aus diesem Grund entband ihn seine Mutter von der Verpflichtung, weitere Ärzte aufzusuchen. Was Nicholas entgegenkam: Er hatte kein Vertrauen zu Ärzten.
    Die Abgeschiedenheit der Fens, der Mangel an Gesellschaft ließen ihm Zeit zum Nachdenken. Er wollte nicht nachdenken, er ertrug es nicht nachzudenken. Er brauchte Leute um sich, eine Beschäftigung. Die einzige Beschäftigung, die Drakesden bot – die Gutsverwaltung, an der er Interesse finden sollte, da er nach Geralds Tod Erbe von Drakesden Abbey geworden war –, langweilte ihn. Er hatte sich nie für Landwirtschaft interessiert. Als sein Vater eines Abends nach dem Essen seine Sorgen über die Zukunft des Gutes äußerte, machte sich Nicholas kaum die Mühe zuzuhören.
    Â»Die Steuern, alter Junge. All diese verdammten Steuern – du entschuldigst, Gwennie. Während des Kriegs sind sie gestiegen, und ich soll verdammt sein, wenn wir sie je wieder fallen sehen.«
    Â»Vielleicht wurde das Geld gebraucht, um Kanonen herzustellen, Papa«, sagte Lally.
    Lady Blythe schenkte Kaffee ein. »Sei still, wenn du nichts Vernünftiges zu sagen hast, Lally.« Sie reichte ihrem Mann eine Tasse. »Das Ganze geht doch uns nichts an, William. Es ist alles sehr ärgerlich, finde ich, aber der Krieg ist jetzt vorbei, und die Dinge müssen sich bald wieder normalisieren.«
    Â»Möglicherweise müssen wir etwas Land verkaufen, Nicholas«, sagte Sir William.
    Â»Wenn du meinst.« Nicholas suchte in seiner Tasche nach Zigaretten. Draußen wurde es langsam dunkel. Die Abende waren immer schlimm für ihn.
    Â»Wenn du meinst?« Lady Blythe hatte die Kaffeekanne abgestellt und starrte Nicholas an. Sie war wütend, wie Nicholas überrascht feststellte. Ihre Stimme zitterte. »Ist das alles, was dir dazu einfällt?«
    Nicholas zuckte die Achseln. »Wenn wir Land verkaufen müssen, dann müssen wir eben. Was gibt es dazu noch zu sagen?«
    Den Mund zu einem starren Strich gespannt, griff sie nach der Kaffeekanne und fuhr mit dem Einschenken fort.
    Â»Nur ein paar Hektar, Gwennie«, warf Sir William hastig ein. »Nicht vom besten Land natürlich. Ein paar von den tiefliegenden Feldern. Manche von den Äckern in Drakesden machen mehr Mühe, als sie wert sind – immer überflutet im Winter …« Seine Stimme brach ab. Lallys Mundwinkel zuckten.
    Lady Blythe erwiderte steif: »Wenn es nötig ist, William, mußt du natürlich verkaufen. Ich verabscheue jegliche Verkleinerung des Guts, aber es muß wohl sein, schätze ich.«
    Â»Ist es nicht komisch«, sagte Lally und rührte ihren Kaffee um, »daß du dich aufregst, Mama, während es Papa und Nicholas, die geborene Blythes sind, nichts auszumachen scheint? Schließlich bist du doch nur durch Heirat eine Blythe geworden.«
    Lady Blythes Gesicht wurde noch bleicher. »Was für ein Unsinn, Lally. Nicholas liebt Drakesden Abbey genauso wie ich. Nicht wahr, Nicky?«
    Abwesend stimmte er zu. Er scherte sich keinen Deut um ein paar sumpfige Felder in einem rückständigen kleinen Kaff, aber um Mamas willen mußte er so tun.
    Sir William hatte sich erhoben und murmelte, er wolle nach draußen gehen, um zu rauchen. Lally beugte sich zu Nicholas hinunter und flüsterte ihm ins Ohr: »Wir sollten eine Ausfahrt machen, Nick. Parsons hat den Reifen geflickt, und es ist

Weitere Kostenlose Bücher