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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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liebe Thomasine – es wird mir nicht mehr erlaubt, als Krankenschwester zu arbeiten. Wir haben eine neue Oberschwester, und außerdem werden seit Kriegsende die freiwilligen Helferinnen als das Letzte vom Letzten angesehen. Ich darf Böden schrubben, Vasen leeren, die Tische an Krankenbetten polieren. Aber nicht pflegen .«
    Thomasine erkannte nicht zum erstenmal, daß sich in Hildas Frustration angesichts der geringen Chancen, die ihr das Leben bot, ihre eigene widerspiegelte. Sie drückte ihre Hand.
    Â»Ich werde nicht bleiben«, sagte Hilda plötzlich und drückte ihre Zigarette aus. »Ich habe ein falsches Alter angegeben, was meiner Ansicht nach eine verzeihliche Lüge war. Nein – ich habe die Absicht, eine Schule zu gründen. Ich hab ein bißchen Geld gespart, und falls du nichts dagegen hast, meine liebe Thomasine, werde ich Quince Cottage verkaufen. Du hast doch nicht vor …«, sie sah Thomasine an, »nach Drakesden zurückzugehen?«
    Thomasine schüttelte den Kopf. »Ich möchte reisen, Tante Hilly. Ich scheine mich nicht häuslich niederlassen zu können. Eine Schule? «
    Hilda nickte. »Unterrichten hat mir immer Spaß gemacht.« Sie suchte unter ihrem Cape nach ihrer Zigarettenschachtel und zog eine Grimasse. »Die werde ich natürlich aufgeben müssen. In Frankreich hat jeder geraucht – es war die einzige Möglichkeit, sich wach zu halten. Ich hab versucht, Bonbons zu lutschen und diesen schrecklichen Kaffee zu trinken, alles – doch am Schluß hab ich aufgegeben. Aber eine rauchende Direktorin wäre wohl nicht gern gesehen.«
    Thomasine lachte. »Wo willst du deine Schule denn eröffnen, Tante Hilly? In Drakesden?«
    Hilda schüttelte den Kopf. »Irgendwo anders. Ich würde Rose zu sehr vermissen.«
    Es folgte ein kurzes Schweigen. Dann fügte Hilda hinzu: »Ich werde mich bald nach einem geeigneten Mietobjekt umsehen. Ich habe noch immer alle Bücher von Vater, und ich kenne eine Reihe ehemaliger freiwilliger Helferinnen, die auch unterrichten möchten. Und denen bewußt ist, daß jetzt, nach dem Krieg, ihre Chancen, sich zu verheiraten, äußerst gering sind. Es gibt eine Menge Frauen, Thomasine, die ihre Energien nun darauf konzentrieren müssen, sich ein Berufsleben aufzubauen, statt einen Ehemann zu finden.« Sie berührte Thomasines Hand. »Du hast meinen Segen, wenn du nach Paris gehen willst, meine Liebe – mir haben Frauen immer imponiert, die mit ihrem Leben etwas anfangen wollten. Was nicht heißt, daß du nicht heiraten wirst – du bist hübsch, was ich nie war.«
    Sie erhoben sich von der Bank und spazierten zum Hospital zurück. Thomasine spürte, daß Hilda nach Worten rang. Schließlich sagte sie: »Du wirst doch vorsichtig sein, Liebes? Während der letzten Jahre – hast du ein so behütetes Leben geführt …«
    Thomasine hängte sich bei Hilda ein. »Mach dir keine Sorgen, Tante Hilly. Es gibt einen schrecklichen englischen Anstandsdrachen. Und Antonia hat bereits mit mir gesprochen.« Antonias Rat hatte aus ziemlich furchterregenden Warnungen vor Frauenhändlern und höchst undurchsichtigen Anweisungen bestanden, vernünftig zu sein, was Thomasine dahin gehend interpretierte, immer ein Unterhemd zu tragen.
    Â»Natürlich.« Hilda atmete erleichtert aus. »Tony ist viel besser in der Lage, dir Ratschläge zu geben. Sie war schließlich verheiratet.«
    Sie befanden sich ein paar Meter vor den Hospitaltüren. Ein Rollstuhl stand in dem kleinen Rosengarten. Hilda blieb neben dem Rollstuhl stehen. Der Mann, der darin saß, trug Krankenhauskleidung. Sein Kopf war mit vielen Bandagen umwickelt und sein Gesicht von blutroten Narben durchzogen. In dem nicht bandagierten Auge zeigte sich kein Erkennen, als sie sich näherten, keinerlei Anzeichen, daß er die Gegenwart anderer menschlicher Wesen registrierte. Nicht einmal Geistesabwesenheit, wie Thomasine feststellte, nur die Überreste einer Art primitiver Angst.
    Hilda legte die Hand auf die des Soldaten. »Diese armen Jungen«, flüsterte sie. Thomasine sah die Tränen in ihren Augen. »Diese armen Jungen.«
    Der Sommer in Drakesden war für Nicholas nicht leicht gewesen. Am Anfang hatte es verschiedene Abwechslungen gegeben. Die Ankunft von Lally, die von der Schule geflogen war, hatte all die erwarteten Ausbrüche nach

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