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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Ihr war vollkommen klar, wie verwerflich sie handelte. Ihr Leben war auf eine schiefe Bahn geraten, und es blieb nur noch ein Moment, um sie vor dem Absturz zu bewahren.
    Sie ließ den Moment verstreichen. Sie hörte sich die Worte wiederholen und spürte, wie Nicholas’ Ring über ihren Finger glitt. Als sie unterschrieben hatten, traten sie aus dem Gebäude in den Sonnenschein hinaus. Nicholas’ Schulfreund streute Reiskörner und Rosenblätter über sie, und Fremde lächelten, als sie die Stufen hinabgingen.
    Sie war seine Frau.
    Â»Ich sollte wohl lieber ein Telegramm schicken«, sagte Nicholas beklommen, als sie vom Konsulat weggingen.
    In dem bureau de poste verfaßte er Nachrichten an seine Eltern und an Lally. »Wir fahren heute nachmittag nach Norden. Ich hinterlasse keine Adresse.«
    In Nicholas’ Gesicht stand ein verschwörerischer Ausdruck geschrieben. Er erinnerte Thomasine an den Moment vor vielen Jahren, als er die Weinflasche hervorholte, die er hinter der Statue des Feuerdrachens versteckt hatte. Ganz so, als wäre auch seine Heirat ein Schulbubenstreich, eine Tat, die er unter den Augen seiner Mutter nicht begehen würde.
    Â»Du solltest an deine Tanten telegrafieren.«
    Sie konnte sich nicht vorstellen, was sie schreiben sollte. Schließlich kritzelte sie: »Habe heute um elf Uhr Nicholas Blythe geheiratet. Alles Liebe, Thomasine« und betete schweigend, daß Hilda und Antonia schon irgendwie verstehen würden.
    Â»Möchtest du in Paris zu Abend essen?« fragte Nicholas, als die Telegramme abgeschickt waren. »Oder sollen wir ein Stück weit fahren?«
    Â»Wir fahren ein Stück.«
    Thomasine wollte Paris so schnell wie möglich verlassen. Sie hängte sich bei Nicholas ein und versuchte, ihn anzulächeln. Wie anders war er doch als Clive, dachte sie wieder. Mit Nicholas gab es keine Zärtlichkeiten, und er berührte sie kaum. Doch sie zweifelte nicht, daß er sie liebte: Die Freude in seinen Augen, als er ihr den Ring über den Finger streifte, war unverkennbar.
    Im Hotel packten sie ihre Koffer, und Nicholas bezahlte die Rechnung. Thomasines ganze Habseligkeiten paßten in den kleinen, abgeschabten Koffer, den sie aus London mitgebracht hatte. Nicholas’ Gepäckstücke waren alle aus dem gleichen Leder gemacht: die Koffer, die Aktentasche und die Hutschachteln. Das Automobil wurde aus der Hotelgarage auf die Place de la Concorde gefahren. Nicholas beugte sich liebevoll über den Delage und strich vorsichtig und voller Stolz über den glänzenden Lack.
    Â»Ist er nicht Wahnsinn, Thomasine?«
    Â»Wirklich nicht schlecht«, antwortete sie.
    Er hielt die Tür für sie auf, und sie stieg ein. Sie war bisher erst einmal in einem Auto gefahren, und das war am Tag des Waffenstillstands gewesen. Der Delage roch nach Leder, Benzin und Politur. Nicholas ließ den Motor an, sie fuhren vom Vorplatz des Hotels ab und schlängelten sich durch Pferdewagen, Fußgänger und Radfahrer hindurch. Nicholas fuhr schneller als Daniel damals. Der Fahrwind wirbelte durch Thomasines kurzes Haar und blies die Falten ihres Kleids auf.
    Â»Ist dir kalt?« rief Nicholas, als sie die Vororte von Paris passierten und in Richtung Amiens fuhren.
    Â»Ãœberhaupt nicht.«
    Die Luft kam ihr kühler und angenehmer vor. An den Straßenrändern blühten Blumen, und auf den Feldern stand das Getreide üppig und reif. Vogelschwärme erhoben sich aus den Bäumen, als Nicholas das Auto über die schmale, kurvige Landstraße steuerte. Eine Katze schoß vor das Fahrzeug und entging nur knapp den Rädern des Wagens. Als sie um eine weitere Kurve bogen, sah Thomasine eine Kuhherde auf der Fahrbahn und schrie auf. Nicholas trat auf die Bremse, und der Delage kam quietschend und staubaufwirbelnd zum Stehen.
    Die Kühe trotteten gemächlich über die Straße und gingen durch ein offenes Gatter auf eine Wiese. Nicholas setzte den Wagen wieder in Gang. Er hatte seine Jacke abgeworfen und die Hemdsärmel hochgekrempelt.
    Â»Du siehst so glücklich aus, Nick«, sagte Thomasine.
    Schweigend sah er sie einen Moment an und antwortete dann: »Es ist komisch, nicht, wie sich alles fügt? Dich in Paris wiederzufinden – vielleicht hat sich mein Schicksal endlich zum Besseren gewendet. Ich hatte fast ganz vergessen, wie es ist, glücklich zu sein.«
    Sie bemerkte, daß er jetzt

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