Die geheimen Jahre
sehen, die andere Luft einzuatmen â¦
»Aber Drakesden«, sagte sie plötzlich. »MuÃt du nicht nach Drakesden zurück?«
Nicholas schüttelte den Kopf und schenkte Champagner nach. »O nein, Pa wird sich noch lange um die Güter kümmern. Er braucht mich nicht. AuÃerdem bin ich kein besonders guter Landwirt. Landwirtschaft langweilt mich zu Tode. Wir müÃten jahrelang nicht mehr zurückgehen.«
»Aber deine Mutter «, sagte sie flüsternd.
»Mama? Was hat Mama damit zu tun?«
Sie versuchte, es zu erklären. »Lady Blythe wünscht sich sicher jemand Besseren für dich, Nick. Eine Debütantin â eine Erbin. Nicht jemanden wie mich.«
Nicht Thomasine Thorne. Nicht die Nichte der beiden Miss Harkers, die nie nach Drakesden gepaÃt, die den Blythes nie den Respekt entgegengebracht hatte, auf den sie Anspruch zu haben glaubten. Die ihren Platz nicht kannte.
»Thomasine.« Nicholas nahm ihre Hand in die seine. »Ich wollte nie jemand anderen heiraten als dich. Niemals.«
Sie blickte zu ihm auf und sah in seinen Augen reine Liebe. Plötzlich wuÃte sie, daà ihre Liebe zu Clive Curran â verglichen mit Nicholasâ Gefühlen â eine lächerliche Affäre gewesen war, die nur aus Lügen und körperlichem Begehren bestanden hatte. Sie hatte Begierde für Liebe gehalten. Diesen Fehler würde sie nie wieder machen.
Und dennoch trug sie Clives Baby in sich. Lady Blythes kalte blaue Augen waren auf sie gerichtet und machten die freudige Erregung und das Glück in Nicholasâ Stimme zunichte. Mädchen Ihres Schlags geraten leicht auf die schiefe Bahn . Sie konnte damit nicht weitermachen. Weder sich selbst noch Nicholas konnte sie das antun. Sie konnte kein so ungeheuerliches Täuschungsmanöver durchführen. Thomasine setzte zum Sprechen an, aber Nicholas schnitt ihr das Wort ab.
»Möchtest du eine groÃe Hochzeit? WeiÃes Kleid und das übliche Brimborium? Oder etwas Stilleres?«
Sie hörte sich flüstern: »Etwas Stilleres, bitte, Nick.«
Wenn sie Nicholas Blythe nicht heiratete, was würde sie dann tun? Würde sie Schande über die Frauen bringen, die sie so groÃzügig und liebevoll aufgezogen hatten? Würde sie noch einmal versuchen, das Kind zu töten, das in ihrem Leib heranwuchs? Würde sie ins Arbeitshaus gehen? Oder schlimmer noch â sie erinnerte sich an eine unglückliche Schwangere aus Drakesden, die nicht in einem Arbeitshaus geendet war, sondern auf unabsehbare Zeit hinter den Mauern einer Irrenanstalt, da ihre Unmoral als die Folge erblichen Schwachsinns angesehen wurde. Der Gedanke daran lieà sie erschaudern.
»Ich bin so glücklich.« Nicholas drückte ihre Hand. »Und ich bin ganz deiner Meinung. Ich hasse dieses ganze Theater, aber wenn du es möchtest, dann ⦠Und ich glaube nicht, daà wir zu lange warten sollten, findest du nicht auch, Thomasine?«
Schweigend schüttelte sie den Kopf.
»Ich sag dir was â ich besorge eine Sondergenehmigung. Ich kenne einen Burschen beim Konsulat. Es kann alles im Lauf von ein paar Wochen über die Bühne gehen. Ich bin jetzt dreiundzwanzig, also brauche ich die Erlaubnis meiner Eltern nicht. Wie stehtâs mit dir, Thomasine?«
»Ich bin im Juni einundzwanzig geworden.« Während der vergangenen Wochen hatte sie Nicholas Blythe liebgewonnen, und damals in Drakesden hatte sie ihn wegen seiner GroÃzügigkeit und seinem Eifer, gefallen zu wollen, gemocht.
»Dann müssen wir niemanden um Erlaubnis fragen«, sagte er lächelnd.
6
ZWEI WOCHEN SPÃTER heirateten sie. Thomasine trug ein Seidenkleid von Fortuny, eine Kaskade aus meergrünem schwingendem Plissee. Nicholas wollte, daà sie ein weiÃes Kleid kaufte, aber sie hatte sich geweigert. »Ich bin zu blaë, hatte sie gesagt. »Ich würde wie ein Gespenst aussehen.«
Die Hochzeit fand im britischen Konsulat in der Rue Montolivet statt. Nicholasâ Schulfreund fungierte bei der kurzen Zeremonie als Trauzeuge. Thomasine hielt das kleine Rosenbouquet in der Hand, das Nicholas ihr am Morgen an einem Blumenstand gekauft hatte. Greller Sonnenschein drang durch die Jalousien an den Fenstern des Konsulats, und in dem bleichen Licht tanzten Staubflocken.
Während der Zeremonie dachte sie: Ich heirate Nicholas Blythe und habe vor, ihn auf die schlimmste Weise zu hintergehen.
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