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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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der ihr erklärte, was mit ihr vor sich ging. Sie hatte keine Binden in ihrer Handtasche, also rollte sie ein Taschentuch zusammen und hoffte das Beste. Als sie durch die Sonnenblumen zurückging, wußte sie, daß sie Nicholas nichts davon sagen konnte. Sie verstand ja selbst nicht, was mit ihr passierte, und wußte nicht einmal das Vokabular für solche Dinge. Alles, was mit dem weiblichen Körper zusammenhing, war anstößig und geheim. Darüber sprach man nicht, am allerwenigsten mit Männern.
    Nicholas sah besorgt aus, als sie zurückkam, doch Thomasine versuchte, ihn mit einem aufgesetzten Lächeln zu beruhigen.
    Â»Vielleicht sollten wir nicht mehr allzu lange fahren, Nick. Es muß doch schon ziemlich spät sein.«
    Er sah auf seine Uhr. »Es ist fast sieben. Nicht sehr rücksichtsvoll von mir, dich so lange durch die Gegend zu karren.«
    Â»Ganz und gar nicht – es hat mir Spaß gemacht. Es ist herrlich, aus Paris rauszukommen.«
    Ihre Worte hörten sich so nichtssagend, so banal an. Während sie weiterfuhren, nahmen die Rückenschmerzen zu. Stirbt mein Baby? fragte sie sich. Was, wenn ich sterben sollte?
    Nicholas fuhr bis zur nächsten kleinen Stadt. An der Rezeption des einzigen Hotels trug er sich ein. Mr. und Mrs. Nicholas Blythe schrieb er und gab als Wohnort Drakesden Abbey, Drakesden, Cambridgeshire, England an. Auf Thomasine wirkte alles zunehmend unwirklicher, als hätte sie sich zufällig in den Traum eines anderen verirrt. Ein gemeinsames Zimmer, dachte sie, als er den Schlüssel an sich nahm. Wie dumm von ihr, nicht früher daran gedacht zu haben. Sie waren Mann und Frau – natürlich würden sie sich ein Zimmer teilen.
    Sie suchte die Damentoilette auf, während Nicholas ihr Gepäck ins Zimmer brachte. In der Toilette ließ sie sich vor Angst und Furcht schlotternd nieder. Irgend etwas war nicht in Ordnung, sie wußte nicht, was sie tun sollte. Die Schmerzen waren inzwischen noch schlimmer geworden, und ihr Taschentuch war blutgetränkt. Sie säuberte sich, so gut sie konnte. Zurück im Zimmer, zog sich Nicholas zum Abendessen um, er knüpfte sich eine schwarze Krawatte um den steifen Hemdkragen.
    Â»Könntest du …?« fragte er und deutete auf die Krawatte. »Ich kenne mich mit diesen Dingern nicht besonders gut aus. Gewöhnlich haben Mama oder Lally sie für mich gebunden.«
    Â»Tut mir leid, ich weiß auch nicht, wie das geht. Ich habe keine Brüder, weißt du, Nick – und keinen Vater.«
    Â»Armer Liebling.«
    Es war das erste Mal, daß er sie so genannt hatte. Sie trat zu ihm und lehnte den Kopf an seine Brust. Er legte die Arme um sie und streichelte ihr Haar. Sie brauchte Trost, und Nicholas gab ihr Trost.
    Â»Ich werde Vater und Bruder für dich sein«, flüsterte er. »Ich werde für dich sorgen, Thomasine. Du wirst dich nie mehr um Geld kümmern müssen – du wirst nie mehr arbeiten müssen. Ich werde alles für dich regeln.«
    Sie sah die grausame, tiefe Narbe auf der Innenseite seines Arms. Sie waren beide gebrandmarkt, dachte sie – Nicholas mit seinen entstellten Armen und sie mit dem Kind, das aus ihrem Leib herauszubluten schien. Sie schloß die Augen und spürte warm und stark seine Arme um sich.
    Als die Nacht hereinbrach, kam es Thomasine vor, als würde sie ihr Kind verlieren. Ihr Blut wurde dick und klumpig. In der Abgeschiedenheit des Hotelbadezimmers ließ sie zum Vorwand die Wasserhähne laufen, wagte aber nicht, in die Wanne zu steigen. Als die Krämpfe unerträglich wurden, setzte sie sich auf die Toilette, brachte es aber hinterher nicht über sich, nach unten zu sehen. Sie hatte das Gefühl, als hätten sich gemeinsam mit dem ungewollten Kind all ihre Eingeweide aus ihrem Leib gewürgt. Sie wußte nicht mehr, wie lange sie schon in dem fremden Raum geblieben war, und kauerte sich, den Kopf auf die Knie gelegt, in einer Ecke zusammen.
    Schließlich zerschnitt sie mit ihrer Nagelschere eines der Hotelhandtücher und stopfte es zwischen die Beine. Irgendwie stand sie das Abendessen durch und aß nichts, aus Angst, ohnmächtig zu werden. Sie trank wieder Wein, dessen Wirkung ihr half, die enge, gewundene Treppe zu ihrem Zimmer hinaufzusteigen. Im Zimmer, als die Tür geschlossen war und die Lampen brannten, wirkte Nicholas linkisch und verlegen. Er fummelte wieder an seiner Krawatte

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