Die geheimen Jahre
Grund für den Triumph, den sie am Morgen in Daniel Gillorys grüngoldenen Augen gesehen hatte. Sie verstand auch die Bitterkeit des Kampfes, den sie auszufechten hatte. Daà er auch nur einen winzigen Zipfel vom Land der Blythes besaÃ, war unerträglich für sie. Doch ein Teil in ihr begrüÃte den Beginn der Feindseligkeiten, und sie erkannte, wie schwer die Untätigkeit der vergangenen Monate auf ihr gelastet hatte. Genau wie damals, 1914, verschmolzen die Gestalten von Thomasine Thorne und Daniel Gillory ineinander und wurden zu einem Feind, zu einem Eindringling.
Teil III
1921 â 1923
Ist auch die Speisekammer leer
Wir haben SpaÃ!
Und sind die Zeiten noch so schwer
Wir haben dennoch SpaÃ.
VOLKSTÃMLICHES LIED
7
ANFANG 1921 KEHRTEN die Blythes nach England zurück. Schmutziger Schnee säumte die Gehsteige, und selbst mittags war der Himmel trüb und stählern grau. An den StraÃenecken hielten ehemalige Soldaten, denen oft ein Arm oder ein Bein fehlte, die Hüte um ein paar Pennys auf.
Sie quartierten sich im Claridges ein. Als Thomasine durchs Fenster auf das London hinaussah, das sie vor fast achtzehn Monaten verlassen hatte, dachte sie über das erste halbe Jahr ihrer Ehe nach. Den August hatten sie in Le Touquet verbracht und waren dann mit zunehmender Eile durch Frankreich gereist: Deauville, Trouville, Biarritz, Nizza und Montpellier. Doch dann waren Briefe von Nicholasâ Vermögensverwalter eingetroffen, und sie waren gemächlich und voller Widerwillen nach Calais zurückgefahren. Als sie in den sonnenlosen Nachmittag hinausblickte, hatte Thomasine das Gefühl, daà sie seit ihrer Hochzeit die Tage und Wochen nicht mehr voneinander unterscheiden, daà sie sich nicht erinnern konnte, in welchem Monat sie welche Stadt besucht, in wessen Gesellschaft sie sich am Strand gesonnt, getanzt oder geplaudert hatte.
In einem der vielen französischen Seebäder hatte sie einen Arzt aufgesucht. Sie erzählte ihm einen Teil ihrer Geschichte und offenbarte endlich jemandem ihre Ãngste. Daà die frühe und unbehandelte Fehlgeburt sie für immer geschädigt hatte, daà sie nicht in der Lage sein könnte, das Kind zu bekommen, das sie und Nicholas sich so sehr wünschten. Von ihrem anderen Problem erzählte sie natürlich nichts.
Um zu gestehen, daà ihr Mann sie zwar liebe, aber nur selten begehre, war sie viel zu stolz.
Der freundliche französische Arzt beruhigte sie einigermaÃen und verschrieb ihr ein Stärkungsmittel. Sie sei sehr jung, meinte er. Sie habe noch eine Menge Zeit. Am Tag zuvor, als sie auf der Kanalfähre stand und die unruhigen Wellen gegen das Schiff schlagen sah, dachte sie, daà er unrecht hatte. Sie hatte nicht viel Zeit: Zeitmangel und Nicholasâ vorübergehende Geldnot hatten sie auf dieses Schiff verschlagen, das sie in Dover ausspucken würde. Weder sie noch Nicholas hatten Lust, nach England zurückzukehren.
Zweifel befielen Thomasine, wenn sie in den frühen Morgenstunden aufwachte oder wenn Nicholas darauf bestand, eine weitere Party zu besuchen, einen weiteren Abend auswärts zu verbringen. Oder, was am schlimmsten war, wenn sie wieder einmal vergeblich versucht hatten, miteinander zu schlafen. Es ging jedoch nicht immer schief. Sie muÃte weder unter dem ständigen, demütigenden Gefühl einer nicht vollzogenen Ehe leiden, sagte sie sich, noch glaubte sie wirklich, daà Nicholasâ Mangel an Leidenschaft auf einen Mangel an Liebe zurückzuführen war. Seine Hingabe kam ihr unvermindert stark vor. Es waren ihre eigenen Gefühle, die Zweifel in ihr erweckten. Ihr Glaube an die RechtmäÃigkeit einer Ehe, die sich äuÃerem Zwang und der Ãberzeugung verdankte, daà Freundschaft wichtiger sei als Leidenschaft, war im Lauf der Monate verblaÃt. Das einzige, was ihre Bedenken hätte mildern können â eine neue Schwangerschaft â, war nicht geschehen. Jeden Monat durchlebte sie das Leid des Hoffens, um dann ihre Hoffnungen erneut begraben zu müssen. Jede Nacht wandte sich Nicholas nach einer keuschen Umarmung von ihr ab, und ihre Zweifel verstärkten sich.
Nicholas stand hinter ihr. Mit einer Geste zögernder Zuneigung legte er seine Hand auf ihre Schulter.
»ScheuÃlich, nicht wahr? Als hätte jemand einen Vorhang vorgezogen.«
Sie lächelte und sah auf den dunklen, gelblichgrauen Himmel hinaus.
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