Die geheimen Jahre
»Vielleicht schneit es. Das würde mir gefallen.«
»Wir werden nicht lang in England bleiben, Thomasine, das verspreche ich dir. Ich suche meinen Vermögensverwalter auf und kläre alles. Es wird nicht lange dauern.« Er holte sein Zigarettenetui aus seiner Tasche.
»Fahren wir nach Drakesden?« fragte sie und äuÃerte damit ihre gröÃte Befürchtung.
Nicholas schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Ich hab Mama geschrieben.« Er zog einen zerknitterten Umschlag aus der Tasche und wedelte damit vor Thomasine herum. »Ich hab ihr mitgeteilt, daà wir in London sind und uns freuen würden, sie zu sehen. Ich dachte, das wäre das richtige ⦠ich meine ⦠es wäre doch ziemlich taktlos, einfach so in Drakesden aufzukreuzen â¦Â« Seine Stimme brach ab.
Sie stellte sich vor, mit Nicholas nach Drakesden Abbey zu fahren und durch die groÃe Eingangspforte in die Halle mit den ausgestopften Vögeln und den Tieren zu treten, die sie mit ihren Glasaugen anstarrten. Sie spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte, erwiderte aber: »Ich bin sicher, daà es das richtige ist. Laà uns ausgehen, Nick. Ich bin hungrig.«
Thomasine trug ein ritterspornblaues Kleid mit weiÃen Seidenstrümpfen. Das Kleid hatte eine tiefe Taille, und der Saum endete kurz unter dem Knie. Um den Kopf trug sie ein diamentenbesetztes Band. Nicholas sah sie an und dachte, wie reizend sie aussah. Er schob seine Sorgen beiseite und sagte sich, daà jetzt alles in Ordnung war, daà er viele Freunde in London hatte, daà er Thomasine ein besserer Ehemann sein wollte und daà sie Spaà hätten.
Sie gingen in ein kleines Restaurant am Hanover Square. Es war noch ziemlich früh, erst sieben Uhr, und nur die Hälfte der Tische war besetzt. Die Stille im Restaurant machte Nicholas nervös. Er zog den betriebsamen Lärm vor und war froh, als der Pianist zu spielen begann. Die Musik, ein langsamer, weicher Blues, schien die Leute aus der Kälte und Dunkelheit hereinzulocken. Nicholas sah alle neuen Gäste an und hielt Ausschau nach bekannten Gesichtern.
Gegen halb acht, als er die letzte Zigarette aus seinem Etui anzündete und Zucker in seinen Kaffee rührte, drängte eine Gruppe von Leuten ins Lokal. Als die Tür aufging und die neuen Gäste eintraten, schienen sie Farbe und Licht in den Raum zu bringen, und die Klaviermusik ging in ihrem schrillen Gelächter unter. An den Kleidern der Frauen funkelte Schmuck, und auf den Mänteln der Männer glitzerte der Schnee wie Brillanten.
Nicholas sah sich die Neuankömmlinge an und erkannte einige Gesichter. Er erinnerte sich an Bobby Monkfield aus Winchester â Bobby war ein oder zwei Jahre jünger als er, aber das spielte heutzutage keine Rolle. Wenn Nicholas seine Klassenkameraden aufgezählt hätte, hätte er festgestellt, daà ein Drittel von ihnen im Krieg gefallen war. Er erinnerte sich auch an Bobbys Schwester Lavender, die er von Kricketspielen und SchulabschluÃfeiern kannte. Sie hatte sich verändert. Aus dem pummeligen Mädchen war eine groÃe junge Frau mit modisch salopper Haltung und lässigen Gesten geworden.
Einige der Gesichter glaubte er von Deauville oder Le Touqet her zu kennen, konnte aber keine Namen mit ihnen verbinden. Eine vage Erinnerung schien in ihm aufzuflackern, als sein Blick auf den blonden jungen Mann neben Lavender Monkfield fiel. Nicholasâ Finger begannen zu zittern, und Zigarettenasche fiel auf das weiÃe Tischtuch. Aber fast im selben Moment wurde ihm klar, daà er sich geirrt hatte, daà es eine böse Täuschung war, denn dies war nicht sein Freund Richardson, der dort saà und Cocktails bestellte, sondern ein Fremder. Die Ãhnlichkeit lag an dem blonden Haar, den blauen Augen und dem durchtrainierten Körper.
Er hörte Thomasine sagen: »Es sieht so schön aus, nicht?«, doch er hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. Dann sah er den Schnee und den besorgten Ausdruck in ihren Augen und antwortete: »Sehr schön. Wie eine Weihnachtspostkarte.« Seine Zigarette ausdrückend, fügte er hinzu: »Da drüben ist ein Bursche, den ich kenne. Komm, laà dich vorstellen.«
Monkfields Freunde tranken trockene Martinis und studierten die Speisekarte. Nicholas durchquerte das Lokal und berührte Bobbys Schulter, um auf sich aufmerksam zu machen.
»Monkfield? Schön dich zu sehen.«
Bobby Monkfield
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