Die geheimen Jahre
Automobil herumbastelte, ging Einkaufen oder spielte auf dem Klavier, das er für sie gekauft hatte. Doch das reichte ihr nicht. Endlos dehnten sich die Stunden vor ihr. Sie konnte sich an die Einförmigkeit der Tage, an das Nichtstun, nicht gewöhnen. Nicholas hielt Arbeit weder für notwendig noch für wünschenswert. Seine einzige Beschäftigung bestand in der Suche nach Zerstreuung. Alle Bemühungen Thomasines, sich nützlich zu betätigen, waren letztlich vergeblich. Es war nicht nötig zu nähen, wenn Nicholas darauf bestand, ihr massenweise Kleider zu kaufen, es war nicht nötig einzukaufen oder zu kochen, wenn sie den Dienstboten nur Anweisungen geben oder den Telefonhörer nehmen und bei Harrods Lebensmittel bestellen muÃte. Um die Tage auszufüllen, las sie stundenlang, manchmal bis sie entzündete Augen bekam.
Im April kam Tante Hilly übers Wochenende zu Besuch. Vollgepackt mit kleinen und groÃen Päckchen wurde sie vom Mädchen hereingeführt.
»Ich dachte, wenn der Prophet nicht zum Berg kommt â¦Â«
Thomasine stieà einen Freudenschrei aus und umarmte die Besucherin.
»Eine Zumutung, ich weië, sagte Hilda, als sie wieder losgelassen wurde, »so einfach hier reinzuschneien. Aber eine meiner älteren Schülerinnen muÃte unerwartet nach London begleitet werden, und das schien mir eine zu gute Gelegenheit zu sein, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen. Es war keine Zeit mehr, dich zu benachrichtigen.«
Das Mädchen nahm Hildas Mantel, und Thomasine lief in die Küche, um für die Tulpen- und NarzissensträuÃe Vasen zu holen.
»Es ist so lange her! Viel zu lange«, sagte Hilda.
»Fast zwei Jahre.« Thomasine ordnete die Blumen in den geschliffenen Vasen. »Bevor ich nach Paris ging.«
Hilda hatte sich auf die Couch gesetzt. »Du muÃt mir alles über Paris erzählen. Ich beneide dich so â die Museen, die Kunstgalerien, die wundervolle Architektur â¦Â«
Sie redeten über Paris, bis das Mädchen Tee und Kuchen brachte. Thomasine setzte sich an den wackeligen Tisch. »Tee, Tante Hilly?«
»Gern.«
»Nicholas ist leider nicht zu Hause. Er montiert mit seinem Freund einen neuen Reifen an sein Auto.«
Thomasine goà Tee ein und suchte nach dem Zigarettenetui in ihrer Tasche.
Hilda schüttelte den Kopf, als sie ihr das Etui hinstreckte.
»Ich habâs geschafft, es aufzugeben. Es war ein fürchterlicher Kampf.« Sie lächelte, und Thomasine erwiderte ihr Lächeln.
»Ach, Tante Hilly. Du hast dich kein biÃchen verändert.«
Das war die reine Wahrheit, dachte sie. Hildas Kleid war schlicht marineblau und weiÃ, wobei nur der fessellange Saum ein kleines Zugeständnis an die Mode machte. Ihr Haar war zu einem unordentlichen Knoten gebunden, der von einer Reihe schmuckloser Nadeln und Spangen zusammengehalten wurde, genau wie immer.
»Aber du hast dich verändert, meine Liebe.« Hilda schob ihre Brille über die Nase hinauf, um Thomasine anzusehen. »Du wirkst jetzt unheimlich erwachsen und schick. Und das kurze Haar ist viel praktischer, nicht? Ich wünschte, ich hätte den Mut â¦Â«
Thomasine lachte. »Eine Schulrektorin mit Bubikopf! Wo denkst du hin, Tante Hilly?«
Einen Moment lang herrschte wieder die altvertraute, lockere Atmosphäre zwischen ihnen. Die vergangenen Jahre â London, Paris â waren wie weggeblasen und schienen keine Spuren hinterlassen zu haben.
Hilda nahm die Teetasse aus Thomasines Hand. »Ich habe den Abend frei ⦠Ich muà erst morgen früh nach Sheffield zurück. Vielleicht könnten wir â¦Â«
Thomasine schüttelte bedauernd den Kopf. »Nicholas und ich sind heute abend leider mit den Monkfields zum Essen verabredet. Bobby ist ein alter Schulfreund von Nicholas. Und dann müssen wir zu einer Party, als Russen verkleidet, als Kosaken, eines von diesen verrückten Festen, weiÃt du â¦Â«
Der Ausdruck auf Hildas Gesicht war ihr bekannt. Sie hatte ihn schon gesehen: damals, als sie ihre Grammatikaufgaben nicht gemacht und statt dessen das Pony des Pfarrers geritten hatte, oder damals, als sie zu lange mit Daniel Gillory Boot gefahren und erst in der Dunkelheit zurückgekehrt war, oder wenn sie Hildas hohen Ansprüchen von gutem Benehmen nicht genügte.
»Es ist nur ein biÃchen SpaÃ, Tante Hilly. Nicholas trifft sich gern
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