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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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besessen hatte. Es machte nichts, daß sie in Paris ihre Beine mit weißem Make-up eingeschmiert hatte, weil sie sich keine Seidenstrümpfe leisten konnte. Sie war Thomasine Blythe, die von den besten Tanten erzogen worden war, die es auf der Welt gab, die gearbeitet hatte, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und deren Name genausogut war wie jeder andere. Sie nahm Teddy Seftons Hand und lächelte ihn an.
    Â»Wollen wir tanzen?«
    Er folgte ihr in die Mitte der Tanzfläche. Die synkopischen Rhythmen packten sie, sie gab sich ihnen mit Leib und Seele hin. Wie immer löschte die Musik alle Zweifel in ihr, und sie glaubte, die ganze Nacht hindurch tanzen zu können, ohne je einen falschen Schritt zu machen. Die Tanzfläche leerte sich, so daß sie und Teddy allein herumwirbelten, und als die Musik endete, brandete Beifall auf.
    Als der Nachtklub um zwei Uhr schloß, fuhren sie in Taxis zu einer Party in Bayswater. Die Party fand in einem Dachatelier eines alten Hauses statt, das in Appartements aufgeteilt war. Der Künstler hieß Marcus Dorn, und seine Gemälde hingen an den Wänden, lehnten gegen Möbel oder lagen auf dem Klavier. Rote, purpurne und schwarze Tunnels und Höhlen sowie karmesinfarbene Striche, die sich in dunklen Punkten trafen, starrten aus allen Ecken.
    Â»Sehr freudianisch«, sagte Colin Sefton.
    Â»Markutß hat eine Mutterfixierung«, lispelte Tiny.
    Getränke in getöpferten Bechern wurden ihnen gereicht. Thomasine, die sie irrtümlich für Zitronentee hielt, nahm einen großen Schluck und hustete.
    Â»Markus nennt das Malergift«, erklärte Teddy. »Ich glaube, er mischt Brandy und Gin zusammen und schüttet dann alle Flüssigkeiten hinein, die ihm in die Finger kommen. Limonade, Ginger Ale, Badeöl …«
    Colin setzte sich ans Klavier und begann zu spielen. Thomasine entdeckte, daß sie den Geschmack nicht mehr bemerkte, wenn sie einfach weitertrank. Der Abend geriet immer mehr aus den Fugen, wurde immer verrückter. Sie vergaß die Namen von Leuten, sobald sie ihr vorgestellt wurden.
    Â»Davon wird einem ja übel …« Eine große Frau, die einen schwarzen Turban trug, fuchtelte mit ihren behandschuhten Fingern in der Luft herum.
    Â»Von den Cocktails?«
    Â»Von den Bildern. Ich ließ mir vor etwa zwei Wochen die Mandeln rausnehmen, und sie erinnern mich … nun, Sie wissen schon …«
    Manchmal war das Klavier lauter als die Gespräche, manchmal umgekehrt. How you’re gonna keep ’em down on the Farm … Ein Gesicht verschwamm vor Thomasine, das tonlos Worte formulierte. Sie beugte sich vor, um besser zu hören.
    Â»Wie bitte?«
    Â»Ich sagte, Sie müssen mir Modell sitzen.« Ein kleiner Mann mit vorstehendem Bauch, zerrissenem weißem Hemd und Fliege, aber ohne Jackett, ergriff ihre Hand und küßte sie. »Marcus Dorn.«
    Jemand rührte etwas in ihren Drink. Sie lächelte. »Thomasine Blythe.«
    Â»Ich würde Sie natürlich in Rot kleiden. Blau ist so geistlos.«
    Teddy flüsterte in ihr Ohr: »Tun Sie’s nicht. Sie werden eine rote Röhre mit einem Bommel am Ende.«
    Sie begann zu lachen. Die Flüssigkeit in ihrem Becher schwappte gegen den Rand und floß über. Sie sah sich im Raum um, konnte Nicholas aber nicht entdecken. Durch den Nebel aus Alkohol und Übermut stellte sie fest, daß sie seit der Taxifahrt nicht mehr mit ihm gesprochen hatte. Sie berührte Teddys Arm.
    Â»Nicholas …«
    Â»Hab ihn seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Ich würde mir keine Sorgen machen.« Er sah auf Thomasine hinab. »Ah. Sie machen sich Sorgen.« Sein Gesichtsausdruck veränderte sich.
    Â»Er ist – launisch.«
    Teddy nahm ihren Arm und führte sie durch das Gedränge. »Seit dem Krieg? Das hab ich mir gedacht. Man erkennt sie auf Anhieb. Diejenigen, die ihn durchgestanden haben, diejenigen, die zu jung dafür waren, und diejenigen, die es irgendwie geschafft haben, sich rauszuhalten – die glücklicheren Mistkerle.«
    Sie hatten die Küche erreicht. In der Menge, die sich um den vollgestellten Tisch und den Abwasch versammelte, entdeckte Thomasine Nicholas neben dem Fenster. Er unterhielt sich mit Simon Melville.
    Â»Gott sei Dank. Er scheint wohlauf zu sein. Halten Sie mich nicht für albern, aber ich habe mich eben gefragt …«
    Teddy sah nachdenklich aus.

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