Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
Austen. Ich bin Mr. Walter Scott.«
Ich konnte mein Staunen und meine Ehrfurcht nicht verbergen. Niemals hätte ich gedacht, dass ich einen so berühmten und anerkannten Schriftsteller kennenlernen würde, dessen Gedichte ich viele, viele Male gelesen hatte. Und doch stand er da vor mir in einem Londoner Theater. »Mr. Scott!«, rief ich aus, als mir meine Stimme wieder gehorchte. »Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen,
Sie
kennenzulernen, Sir! Sie sind doch der wahre Dichter, Sir.«
»Vielen Dank«, antwortete er bescheiden, und sein kleines Lächeln und seine leise Stimme schienen eine gewisse Unzufriedenheit auszudrücken. »Aber ich fürchte, Sie würden viel besser daran tun, Wordsworth zu lesen.«
»Da kann ich Ihnen nicht zustimmen. Ich kenne seine Werke natürlich auch, aber ich bewundere die lebendigen Beschreibungen und das aufrichtige Pathos Ihrer Balladen wirklich sehr. Darf ich fragen, woran Sie gerade arbeiten?«
»An einer weiteren kleinen in Versmaß gefassten Romanze.«
»Wovon handelt sie?«
»Von einem Engländer namens Waverley, der während des zweiten Jakobiteraufstandes ins schottische Hochland reist.« Mr. Scott machte eine fahrige Handbewegung und setzte eine gelangweilte Miene auf. »Um ehrlich zu sein,bin ich allmählich der Balladen überdrüssig, besonders meiner eigenen. Ich bin mir allzu deutlich darüber im Klaren, dass ich stets nur einer der minderen Dichter sein werde.«
»Vielleicht wäre es dann an der Zeit«, meinte ich kühn (und ohne nachzudenken), »die Lyrik hinter sich zu lassen und in eine neue Richtung aufzubrechen.« Kaum waren diese Worte über meine Lippen gekommen, da spürte ich, wie die Röte meine Wangen überzog. Welcher Dämon hatte mich da besessen? Wer war ich denn, dass ich diesem gefeierten Schriftsteller Ratschläge erteilen durfte?
Mr. Scott reagiert mit einem breiten Lächeln auf mein verlegenes Gesicht. »Welche neue Richtung würden Sie mir vorschlagen, Miss Austen?«
Der Gong für den zweiten Akt ertönte. Die Menschenmenge begann sich wieder auf das Theater zuzubewegen. Aber Mr. Scott stand noch da und erwartete meine Antwort. »Prosa«, sagte ich.
»Prosa?«, wiederholte er überrascht.
»In der Tat, Sir. Das ist in letzter Zeit richtig in Mode gekommen. Vielleicht sollten Sie Ihren Waverley als Roman schreiben.«
»Als Roman?« Mr. Scott lachte lauthals. »Das ist einmal ein völlig neuer Gedanke! Glauben Sie wirklich, die Leserschaft würde an einem Roman über erfundene historische Gestalten Interesse und Freude finden?«
»Warum nicht?«
»Nun, weil es noch nie jemand gemacht hat.«
»Es gibt für alles ein erstes Mal, Mr. Scott. Und wenn jemand einen mitreißenden Roman voller Geschichte und Romantik schreiben kann, dann Sie, Sir.«
Er lachte wieder. »Ich könnte mir denken, wenn ichein solches Werk verfassen sollte, dass ich es niemals unter meinem eigenen Namen veröffentlichen würde.«
»Ich auch nicht, Sir«, stimmte ich ihm zu und lachte nun selbst ebenfalls. »Aber ich glaube doch, dass es einige Beliebtheit erreichen würde.«
Mr. Scott nickte und schaute gedankenverloren, während er mir erneut für meine freundlichen Worte dankte und nach einer Verbeugung mit zerstreuter Miene davonging, wobei er vor sich hin murmelte: »Das ist mal ein Gedanke. Ein Roman.« 43
Meinen eigenen literarischen Ambitionen schien im Gegensatz zu meinen Hoffnungen für Mr. Scott ein katastrophales Ende beschieden zu sein. Obwohl sich Henry mehrere Wochen lang ernsthaft darum bemühte, war es ihm nicht gelungen, das Interesse eines Verlegers für mein Buch zu wecken.
»Es ist das Erstlingswerk einer unbekannten Autorin«, erklärte Henry enttäuscht und schaute auf mein Titelblatt, auf dem stand:
Vernunft und Gefühl. Ein Roman in
drei Bänden. Von einer Dame.
»Nicht nur unbekannt, auch noch unbenannt! Bei den Beschränkungen, die du mir auferlegst, liebe Jane, habe ich große Schwierigkeiten, auch nur jemanden dazu zu bringen, dass er das Buch liest! Wenn du mir wenigstens erlauben würdest, zuzugeben, dass das Werk von meiner Schwester verfasst wurde, könnte ich vielleicht offene Ohren finden.«
»Nein«, antwortete ich mit Nachdruck. »Es reicht, wenn du ihnen sagst, dass du die Autorin vertrittst. Ich bin überzeugt, dass ein Verleger eine höhere Meinung von dem Werk hat, wenn er
nicht
vermutet, dass es aus der Feder einer deiner Verwandten stammt.«
»Ich glaube, darin hat sie recht, mein lieber Henry«, meinte Eliza. »Es
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