Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
früh verstorben. Henry hatte sich, obwohl er zehn Jahre jünger war als sie, mit sechzehn Jahren Hals über Kopf in sie verliebt und sie schließlich ein Jahrzehnt später davon überzeugt, ihn zu heiraten. Ich betete Eliza an, immer schon. Sie war elegant, musikalisch und sehr hübsch, voller Schwung und mit großen, strahlenden Augen in ihrem von Locken umrahmten Elfengesicht. Ihre Ausdauer bei extravaganten Einkaufsrunden war berüchtigt, und ihre Kleidung stets die prächtigste im Raum.
Henrys finanzielle Lage war oft höchst prekär gewesen (selbst lange vor der Heirat mit seiner extravaganten Gattin), aber damals blühte sein Bankunternehmen, und erunterhielt ein Büro in bester Lage in der Stadt und gönnte sich einen großartigen Lebensstil. 41
»Ich glaube, das ist dein bisher bestes Werk«, verkündete Henry voller Begeisterung, als wir uns an einem Abend Ende Juli an einem Cordon Bleu gütlich taten. Ich hatte mehrere Monate benötigt, um eine Abschrift von
Vernunft und Gefühl
anzufertigen, die ich in Henrys Kutsche während der gesamten Fahrt in einer Tasche auf dem Schoß gehalten hatte, weil ich mein kostbares Manuskript keinen Augenblick länger als nötig aus den Augen lassen wollte. Henry hatte alle drei Bände mit eifrigem Interesse bereits in der ersten Woche nach meiner und Cassandras Ankunft in London gelesen, und nun hatte Eliza mit der Lektüre begonnen.
»Ich liebe diesen Roman«, rief Eliza. »Ich bin so darin vertieft, dass ich es gar nicht abwarten kann, endlich weiterzulesen.«
»Du bist sehr freundlich«, antwortete ich. »Das Buch hat viele Mängel, und ich bin gar nicht damit zufrieden.«
»Ich fürchte nur, dass sie niemals zufrieden sein wird«, meinte Cassandra mit einem Seufzer, »obwohl sie mit zweiundzwanzig Jahren angefangen hat, daran zu schreiben, und beinahe jeden Tag des vergangenen Jahres damit verbracht hat, es zu vervollkommnen.«
»Vielleicht ist es nicht das beste Buch, das man einem Verleger anbieten kann«, sagte ich besorgt. »Ich könnte es nicht ertragen, wenn es gekauft und nie veröffentlichtwerden würde wie
Susan
. Vielleicht sollte ich doch lieber
Erste Eindrücke
überarbeiten.«
»Ich kann dich nicht verstehen«, antwortete Henry. »Dieses Buch ist hervorragend und auch ganz bestimmt fertig. Wie lange träumst du schon davon, Schriftstellerin zu sein? Nach all deinen Mühen möchtest du dein Werk doch veröffentlicht sehen, oder nicht?«
»Natürlich«, gab ich zu, »aber …«
»Es gibt kein Aber«, sagte Henry. »Wir müssen jetzt schnell handeln, Jane. Wir müssen es in die Welt hinausschicken, während die Debatte zwischen Herz und Verstand für die Gesellschaft noch von Interesse ist. Eines Tages wird das Thema, das im Zentrum deiner Geschichte steht, vielleicht vergessen sein, fürchte ich.«
Während Henry sich an die Aufgabe machte, einen Verleger zu finden, beschäftigten Cassandra und ich uns damit, in die Stadt zu spazieren und einige alte Bekannte zu besuchen, darunter auch die Smiths und die Cookes, und eine Miss Beckford und Miss Middleton. Es waren durchweg angenehme Gesellschaften, bei denen wir uns an guten Unterhaltungen mit gescheiten Leuten erfreuten und sehr viel Tee tranken. Das Wetter war unveränderlich schön und sehr heiß. Eliza gesellte sich auf einigen unserer Einkaufsbummel zu uns, bei denen wir ihr Durchhaltevermögen, ihre Fähigkeit zum Geldausgeben und ihr unfehlbares Auge für Farben und Stil bewunderten (sie kaufte mehr Hüte an einem Nachmittag, als ich je zuvor oder seither gesehen habe). Cassandra und ich begnügten uns mit den banaleren Einkäufen wie Stopfgarn, Seidenstrümpfenund Handschuhen. Allerdings habe ich in einem Stoffgeschäft auch zehn Ellen eines karierten Musselins in einer sehr hübschen Farbe gefunden, für die ich ganze sieben Schillinge die Elle zahlen musste.
An einem besonders denkwürdigen Abend nahm uns Henry zu einem Schauspiel im Lyceum mit. Eliza, die erkältet war, blieb lieber zu Hause. Ich kann mich weder an den Namen des Stückes noch an die Schauspieler erinnern, die darin mitwirkten. Die Erinnerung ist mir nur wegen der Menschen so lebhaft vor Augen, die ich an jenem Tag zufällig in der Pause traf.
Es war ein warmer Sommerabend, und im Theater war es heißer, als uns lieb war. Während Henry mit einem Freund plauderte, nachdem der Vorhang des ersten Aktes gefallen war, begaben sich Cassandra und ich ins Foyer, in dem sich zwar viele Menschen aufhielten, wo man aber die
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