Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
Zweige der Bäume in unserem Garten betrachtete. »Ich habe hier all die Strandspaziergänge und Meeresbrisen, die ich mir nur wünschen kann.«
»Ja, aber das sind die Brisen von Southampton. Nirgendwo kann man besser im Meer baden als in Lyme – in Southampton würde ich keinen Fuß ins Wasser setzen. Außerdem leben hier 8000 Einwohner, während Lyme nur ein Dorf ist.«
»Du vergisst die Menschenmengen, die sich im Sommer dort aufhalten.«
»Trotzdem. Ich würde ja Brighton vorschlagen, aber dazu reichen gegenwärtig meine Mittel nicht, und ich weiß doch, dass du Lyme sehr gern hast, Jane. Seit unserem letzten Besuch sind drei Jahre verstrichen. So glücklich wie an diesem Ort habe ich dich noch nirgends sonst gesehen. Ich möchte mit dir dort hinfahren und dir helfen,dein Lächeln wiederzufinden, denn das ist dir schon seit geraumer Zeit verloren gegangen.«
Ich mochte Lyme wirklich sehr gern. Auf einmal konnte ich mir beinahe bildlich vorstellen, wie ich an der hübschen kleinen Bucht entlangspazierte, wie ich auf den Cobb, die geschwungene Hafenmauer, kletterte, wie ich mich an dem Blick auf die hellen Kiesstrände, die glitzernden Wellen und die majestätischen Klippen ringsum erfreute. Trotzdem schüttelte ich den Kopf. »Mary braucht uns jetzt. Frank setzt in sieben Tagen die Segel. Wir können sie nicht allein lassen.«
»Sie hat doch immer noch Mutter und Cassandra und Martha um sich.«
Das stimmte wirklich, dachte ich. Es war ein sehr verlockendes Angebot, und mir wurde auf einmal klar, dass ich außerordentlich gern mit Henry reisen würde. »Aber wie kann ich sie alle hier zurücklassen und selbst Ferien in Lyme machen? Was ist mit Eliza? Und deinen Geschäften? Kannst du so lange fortbleiben?«
»Ich hatte nicht an einen längeren Aufenthalt gedacht, sondern nur an etwa eine Woche, höchstens zwei. Eliza wird mir für diese Idee Beifall zollen. Denk doch nur! Wir machen lange Spaziergänge. Wir baden jeden zweiten Tag. Wir schließen neue Bekanntschaften und sind bei den Bällen in den Assembly Rooms für andere die faszinierenden Neuankömmlinge. Hier bist du gezwungen, dich tagein tagaus in der gleichen Gesellschaft zu bewegen. Du hast keine Zeit für dich, keine Zuflucht vor einem schreienden Säugling.«
»Mary Jane ist ein reizendes Kind. Ich glaube, letzten Dienstag hat sie wahrhaftig eine ganze Stunde lang kein einziges Mal geschrien.«
Henry lachte. Er konnte es mir von der Nasenspitze ablesen, dass weitere Überredungsversuche nicht erforderlich sein würden.
Einige Tage später blickte ich nach einer ereignislos verlaufenen Reise voll freudiger Erwartung aus dem Fenster von Henrys Kutsche, als wir durch das fröhliche Dörfchen Uplyme fuhren und dann den langen, zerklüfteten und steilen Abstieg nach Lyme in Angriff nahmen, um endlich die noch steilere Straße in den Ort selbst hineinzufahren.
Über Lyme habe ich schon in früheren Tagebüchern berichtet. Vielleicht kommt der Ort auch in einem Buch vor, an dem ich gerade arbeite. 11 Doch ich gehe gern das Risiko ein, mich zu wiederholen, um des Vergnügens willen, das mir diese Stadt bei jedem meiner Besuche bereitet hat.
Lyme ist vielleicht nicht so modisch wie Brighton oder Weymouth, doch denjenigen, die Erholung für ihre erschöpften oder wunden Seelen suchen und in Unterkünften wohnen möchten, die sie nicht an den Rand des finanziellen Ruins bringen, denen werden die Seeluft, die angenehme Gesellschaft und die herrliche Landschaft in der Umgebung dieses bescheidenen Städtchens gar manches Leiden heilen. Der Charme dieser kleinen Stadt ist nicht auf ihre Gebäude zurückzuführen, sondern vielmehr auf ihre bemerkenswerte Lage am Meer. Der zauberhafteHafen von Lyme wird von einer Art grob gemauertem, halbkreisförmigem Pier eingerahmt, der den Namen The Cobb trägt und hinter dem Schiffe sicher vor Anker liegen können. Auf diesem Pier kann man bei gutem Wetter sehr schöne Spaziergänge machen.
Bei früheren Besuchen, wenn wir uns ein, zwei Monate hier aufhielten, hatten meine Eltern ein Häuschen angemietet. Da wir diesmal nur zu zweit waren und unser Aufenthalt auch viel kürzer sein würde, nahmen wir uns Zimmer in einer malerischen kleinen Pension in der Oberstadt. Die Wirtin war eine dicke, rotwangige, fröhliche Frau, die den recht angemessenen Namen Mrs. Stout 12 trug.
»Ich hoffe, Sie finden alles zu Ihrer Zufriedenheit«, sagte Mrs. Stout, als sie in meinem Zimmer das Fenster öffnete und eine frische Brise
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