Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
immer sehr ergötzlich gefunden, hier zu promenieren, da sich so weit oben ein herrlicher Blick auf die Küste, das Meer und die Klippen ringsum bot.
»Lass uns hinaufsteigen«, sagte ich begeistert.
»Bist du sicher?«, erkundigte sich Henry nach einem Blick auf die rau behauenen Steinblöcke, die aus der Mauer hervorstanden wie die Zinken einer Harke und auf diese Weise Stufen bildeten, wenn auch ohne Geländer oder andere Haltemöglichkeiten. »Die Treppe ist sehr steil.«
»Ich versichere dir, ich komme damit zurecht.«
»Ich gehe hinter dir, falls du eine stützende Hand brauchst.«
»Bitte geh voraus«, beharrte ich. »Mit meinen Röcken bin ich so langsam, dass es dich nur ärgern kann.«
Mit einem zweifelnden Blick ging Henry als Erster dieStufen hinauf, und ich folgte ihm vorsichtig, indem ich mit der einen Hand mein Gewand und meinen Sonnenschirm hielt und mich mit der anderen an der Steinwand abstützte. Ringsum waren viele andere Menschen unterwegs. Ich hatte bemerkt, dass sich uns von hinten eine kleine Gruppe näherte, wenn auch meine Kletterei mich daran hinderte, mich nach den Leuten umzusehen. Ich sorgte mich, dass vielleicht mein langsames Vorankommen sie über Gebühr aufhalten würde. Also beschleunigte ich meine Schritte und hatte beinahe schon die oberste Stufe erreicht, als mich eine Windbö überraschte. Versehentlich trat ich auf meinen Rock, verlor den Halt und merkte plötzlich voller Entsetzen, dass ich wankte und mich auf den tückischen Abgrund zubewegte. 15
Sicherlich wäre ich auf den harten Stein unten gefallen, was womöglich zu meinem Tode, zumindest aber zu beträchtlichem körperlichem Schaden geführt hätte, hätten mich nicht plötzlich zwei starke Arme gepackt.
»Nur mit der Ruhe«, ertönte eine tiefe Stimme an meinem Ohr, während ich spürte, wie mich die stützenden Arme sanft und fest die letzte Stufe hinauf in die Sicherheit des Upper Causeway hoben, von wo aus Henry voller Bestürzung zugesehen hatte und wo er mich erwartete.
Sobald ich oben war, lockerte mein Retter seinen Griff und trat einen Schritt zurück. Mir schwirrte noch der Kopf von meinem Missgeschick. Ich wandte mich dem Unbekannten zu und schaute in das lebendigste und intelligenteste Paar tiefblauer Augen, die ich je gesehen hatte.
»Verzeihen Sie, sind Sie verletzt?«, erkundigte sich der Herr und zog den Hut. Er war ein hochgewachsener, dunkelhaariger, sehr vital wirkender Mann von vielleicht dreiunddreißig Jahren, der einen perfekt geschneiderten dunkelblauen Gehrock und cremefarbene Hosen trug, die seine ausgezeichnete Figur bestens zur Geltung brachten.
»Nein, nein, mir geht es hervorragend.« Mein Herz klopfte rasch, und ich rang nach Atem, was, wie ich mir einredete, nur auf meinen eben noch vermiedenen Fall zurückzuführen war und keineswegs auf die Nähe dieses sehr gut aussehenden Mannes.
»Jane! Gott sei Dank! Einen Augenblick lang habe ich wirklich geglaubt, du würdest fallen!«, rief Henry voller Besorgnis, während er an meine Seite eilte. »Bitte, Sir, sagen Sie mir, wem wir zu solchem Dank verpflichtet sind.«
Der Mann verneigte sich artig. »Frederick Ashford, Sir, zu Diensten.«
»Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Sir. Ich bin Henry Austen. Und darf ich …«
Ehe Henry die Vorstellung zu Ende führen konnte, tauchte oben an der Treppe ein elegant gekleidetes Paar auf, und der neu eingetroffene Herr rief: »Gut gemacht, Ashford! Ich sage immer, es gibt keine schnellere Methode, sich die Bewunderung einer schönen Dame zu sichern, als sie aus einer misslichen Lage zu retten.«
Ich spürte, wie mir bei dieser Bemerkung die Schamesröte ins Gesicht stieg. Zum Glück schien dies niemandem aufzufallen. Alle waren von einem weitaus verwunderlicheren Zufall abgelenkt. Anscheinend war Henry mit dem gerade angekommenen Herrn bereits bekannt.
»Charles Churchill?«, fragte Henry und blickte den Mann verwundert an. »Bist du das wirklich?«
Der Mann, gut aussehend, von mittlerer Körpergröße und mit einem Kopf voller hellbrauner Locken, starrte seinerseits auf meinen Bruder. »Henry Austen? Was für eine unerwartete Freude! Das ist ja Ewigkeiten her!«
Die beiden Männer umarmten einander herzlich. »Churchill und ich waren zur selben Zeit in Oxford«, sagte Henry und strahlte. »Wir sind zusammen mehr als einmal in die Bredouille geraten.«
»Was natürlich alles seine Schuld war«, erwiderte Mr. Churchill mit einem Lachen.
Mr. Ashford wandte mir seinen
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