Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
am anderen Ende des Tisches beinahe ein wenig verkniffen. »Worüber um alles in der Welt reden Sie?«
»Helden und Heldinnen. Tugend und Hingabe. Und über den Mut, zu seinen Überzeugungen zu stehen.«
»Das klingt mir aber eher nach einer Sonntagspredigt als nach einer abendlichen Konversation«, meinte Mr. Churchill mit einem Lachen, während er seinen Kaffee austrank und die Tasse klirrend absetzte.
»Nicht, wenn du unsere Jane kennst«, erwiderte Henry lächelnd.
Mr. Churchill wurde still, schaute kurz zu Mr. Ashford und mir hin, hüstelte und gähnte dann plötzlich laut. »Ashford, es ist schon spät. Bist du nicht müde, Maria?«
»Ich bin ziemlich erschöpft«, meinte sie. »Der lange Spaziergang und die feuchte Luft haben mich reichlich ermattet.«
»Wir ziehen uns jetzt besser zurück«, sagte Mr. Churchill, schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Kommen Sie mit, Ashford?«
Mit einem bedauernden Blick wandte sich Mr. Ashford zu mir. »Vielleicht könnten wir unsere Unterhaltungmorgen fortsetzen? Wenn Sie und Ihre Begleitung keine anderen Verpflichtungen haben?«
Wir erhoben uns ebenfalls. »Ich glaube, wir haben morgen alle Zeit der Welt, nicht wahr, Henry?«
»Überhaupt keine Pläne«, antwortete Henry.
»Dann unternehmen wir doch etwas«, sagte Mr. Ashford. »Einen Ausritt aufs Land und ein Picknick. Ich habe mir sagen lassen, dass es in der Nähe ein wunderschönes Tal gibt.«
»Ja, Charmouth«, erwiderte ich. »Dort hat man eine entzückende Aussicht.«
»Dann soll es Charmouth sein. Was sagen Sie, Charles, Maria? Sind Sie dabei?«
Mr. Churchill und Maria wechselten einen Blick, den ich ziemlich befremdlich fand, aber damals nicht zu deuten wusste. Schließlich sagte Maria: »Für ein Picknick sind wir immer zu haben.«
»Soll ich dann meine Kutsche um elf Uhr zu Ihrer Pension schicken?«, fragte Mr. Ashford.
»Wir werden bereit sein und Sie erwarten«, antwortete Henry.
Mr. Ashford wandte sich um und … Wie soll ich den Blick beschreiben, den er mir schenkte? Er war so warm, so gefühlvoll, dass er mir dem Blick zu gleichen schien, den damals Romeo vor dem nächtlichen Abschied auf dem Balkon Julia zugeworfen haben mag.
»Bis morgen dann«, sagte er.
»Bis morgen«, war meine Antwort.
Wir fuhren nie zum Picknick nach Charmouth.
Am nächsten Morgen war ich früh angekleidet und von Vorfreude auf den Tag erfüllt. Henry und ich warteten in Mrs. Stouts winzigem Wohnzimmer darauf, dass Mr. Ashfords Kutsche vorfahren würde. Ich freute mich von Herzen darauf, den Tag mit ihm zu verbringen und ihn besser kennenzulernen.
»Ich wünschte, ich hätte mein blaues Kleid mitgebracht«, sagte ich, während ich vergeblich versuchte, die Falten aus dem hellgrünen Musselin zu streichen, der zwar noch vorzeigbar war, aber schon bessere Tage gesehen hatte.
»Mr. Ashford wird es gleichgültig sein, ob du ein blaues, rosa- oder flohfarbenes Gewand trägst«, sagte Henry. »Ihm liegt an deiner Gesellschaft.«
»Sicherlich hofft er doch, unser beider Gesellschaft zu genießen«, erwiderte ich rasch. »Und ich habe mich nicht schön angezogen, um besonders ihm zu gefallen.«
Henry lachte, und es war ein Zwinkern in seinen Augen. »Und ich sitze nicht hier, und ich bin nicht dein Lieblingsbruder.«
Da klopfte es an der Tür. Henry und ich fuhren überrascht auf. »Wer kann das sein?«, fragte er und schaute zum Fenster hinaus. »Ich sehe keine Kutsche.«
Mrs. Stout öffnete die Tür, und da das Zimmer kaum vier Meter breit war und wir den Eingang des Hauses im Blick hatten, konnten wir den Besucher hervorragend sehen und hören. Er fragte nach Mr. Henry Austen. Henry eilte zu ihm, und der Mann überreichte ihm einen Brief, den ihm ein Gast aus dem Royal Lion mit der Bitte übergeben hatte, ihn uns zu bringen. Henry versuchte, ihn für seine Mühe zu entlohnen, aber der Mann beharrte darauf, dassdiese Angelegenheit bereits erledigt sei, und empfahl sich geschwind.
»Von wem ist er?«, fragte ich, als Mrs. Stout wieder in ihrer Küche verschwunden war und Henry den Brief auffaltete.
»Von Mr. Ashford«, sagte Henry überrascht und las dann den Brief laut vor.
Royal Lion, Lyme, den 5. Juli 1807
Liebe Freunde,
ich schreibe dies mit tiefstem Bedauern, aber eine dringende Familienangelegenheit zwingt mich, unverzüglich nach Derbyshire zurückzukehren. Da meine Freunde mit mir gereist waren, müssen wir alle schnellstens aufbrechen. Bitte nehmen Sie unsere aufrichtigste Entschuldigung
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