Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
sich. Ich spürte, dass derlei Zwist in der Vergangenheit gewiss schon oft aufgeflackert war. Ich fürchtete, der Squire könnte den jungen Mann zwingen, etwas zu trinken, das ihm so zuwider war, und wandte ein: »Bitte, Harris, könnten Sie mir Ihr Glas geben? Vorausgesetzt, es ist einer Dame gestattet, sich ein zweites Gläschen zu gönnen?«
Rasch schob Harris sein Glas den Tisch hinunter in meine Richtung und warf mir einen kurzen, stummen Blick zu, in dem sich seine Überraschung spiegelte.
»Auf Ihr Wohl, Squire«, sagte ich und erhob mein neues Glas.
»Auf Ihr Wohl«, wiederholte die Tischgesellschaft. Alle (außer Harris) tranken mir zu.
»Was schreibst du gerade, Jane?«, erkundigte sich Alethea, als der nächste Gang, ein Seezungenfilet und köstlich duftendes Kalbsfrikassee, aufgetragen wurde. »Hast du mit einem neuen Buch angefangen?«
Die Mitglieder der Familie Bigg-Wither waren die einzigen Menschen außer Martha, einigen engen Verwandten und den Mitgliedern meines eigenen Haushaltes, denen ich von meinem Schreibwunsch erzählt hatte und denen ich erlaubte, meine Romane zu lesen. »Im Augenblick gar nichts«, antwortete ich voller Bedauern.
»Wir unternehmen in Bath so viel und reisen dauernd herum«, erklärte meine Schwester, »und ich fürchte, Jane hatte gar nicht die Muße, um irgendetwas außer ihrem Tagebuch zu schreiben.«
»Das ist aber jammerschade«, rief Elizabeth. »Mir haben deine Bücher immer so viel Freude bereitet. Ich würde gern einmal ein neues lesen.«
»Ich auch«, bestätigte Cassandra.
»Wie viele lange und glückliche Stunden haben wir damals in diesem oder jenem Schlafgemach verbracht«, erinnerte sich Alethea mit einem Seufzer, »und haben uns gegenseitig laut aus deinen Manuskripten vorgelesen?«
»Ich mochte besonders die Geschichte, in der sich die Heldin auf einmal in einem ehemaligen Kloster befindet und sich mit allen möglichen eingebildeten Schrecken beinahe selbst zu Tode ängstigt«, sagte Catherine. »Ich glaube, der Roman hieß
Susan
?«
»Ja, ja! Das Buch war wirklich wunderbar!«, rief Alethea.
»Habt ihr das ernst gemeint?«, erkundigte ich mich, erfreut darüber, dass sie sich daran erinnerten, denn es waren mindestens drei Jahre vergangen, seit sie es gelesen hatten.
»Es war sehr unterhaltsam und hat sich so köstlich über Radcliffes Roman
Udolphos Geheimnisse
19 lustig gemacht «, erwiderte Alethea.
»Ich habe
Udolpho
in zwei Tagen verschlungen«, rief ich, »und mir standen die ganze Zeit die Haare zu Berge.«
»Du musst versuchen,
Susan
veröffentlicht zu bekommen, Jane«, meinte Alethea. »Bitte Henry, dir zu helfen. Er kennt doch so viele Leute.«
»Aber leider keine in Verlagen.«
»Dann vielleicht einer seiner Bekannten? Versprich mir, dass du ihn fragst.«
»Wenn du darauf bestehst«, sagte ich lächelnd.
»Könnte ich einen kleinen, aber wichtigen Vorschlag machen«, fragte Catherine, »der meiner Meinung nach das Buch noch verbessern könnte, wenn ich so kühn sein dürfte?«
»Aber sicher«, antwortete ich. »Ich fürchte, dass meine Arbeit bestenfalls Stückwerk ist. Jegliche Kritik ist mir herzlich willkommen.«
»Es ist der Name der Heldin«, meinte Catherine mit gespielter Feierlichkeit. »An einem Mädchen namens Susan kann ich überhaupt nichts Romantisches finden. Wenn sie einen anderen Namen hätte,
Catherine
zum Beispiel, dann bin ich sicher, dass das Buch ein großer Erfolg werden könnte.«
Die Damen lachten. »Das werde ich mir merken, liebste Catherine, falls ich je in Erwägung ziehen sollte, dieses Buch zu überarbeiten.«
Harris, der während dieser Unterhaltung stumm gebliebenwar, ließ plötzlich die Gabel klirrend auf den Teller fallen. »Ist d-d-d-das alles, w-w-w-worüber ihr D-d-d-damen reden könnt? Alberne B-b-b-bücher?«
»Romane sind alles andere als albern«, beharrte Alethea.
»Wahrhaftig, Harris«, erwiderte der Squire. »Zwar geht mein Geschmack bei der Lektüre eher in Richtung ernsthafterer Themen, zum Beispiel zu Jurisprudenz, Geschichte, Architektur, Zeitgeschehen und natürlich, an Sonntagen, theologischen Erörterungen. Aber der Roman, dieses neue, romantische literarische Genre, erfreut sich doch in vielerlei Kreisen der Gesellschaft zunehmend größeren Respekts.«
»Romane sind äußerst schätzenswerte Werke«, stimmte ich ihm zu, »in denen die höchsten geistigen Leistungen zur Schau gestellt werden.«
»Was für g-g-g-geistige Leistungen?«, fragte Harris mit einem
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