Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
vermochte ich mir nicht auszumalen, was das wohl sein könnte.
»Guten Morgen, Harris«, sagte ich nach längerem Schweigen höflich, weil ich wusste, dass er oft ein wenig Hilfe benötigte, um ein Gespräch zu beginnen.
Harris nickte ungefähr in meine Richtung, schaute aber weiter unverwandt ins Feuer.
»Ein herrlicher Morgen, nicht wahr? Ihre Schwestern meinten, es könnte Regen geben, aber ich habe ihnen das Gegenteil bewiesen.«
Er sagte immer noch kein einziges Wort, stand in unbehaglichem Schweigen da. Ich zermarterte mir das Hirn nach einem neuen Gesprächsthema und hatte gerade beschlossen, ihn zu fragen, wie es ihm auf der Universität gefallen hatte, als er sich plötzlich und entschlossen zu mir umwandte und auf mich zugeschritten kam. Wenige Fuß von mir entfernt blieb er genauso abrupt stehen und sagte mit fester Stimme: »Mi-mi-mi-miss Jane.«
»Ja?« Ich war erleichtert, festzustellen, dass er tatsächlich zu sprechen vorhatte und ich nicht die gesamte Konversation für uns beide führen müsste.
»S-s-s-sie wissen, d-d-d-dass ich der Erbe von Ma-ma-ma-manydown Park bin.«
»Ja.«
»Als s-s-s-s-solcher habe ich einer F-f-f-frau, die mich hei-hei-hei-heiratet, sehr v-v-v-viel zu b-b-b-bieten.«
»Allerdings, das stimmt, Harris.«
»W-w-w-würden Sie mir diese Ehre erweisen, Mi-mimi-miss Jane?«
Kapitel 6
»Er hat dich gebeten, ihn zu heiraten?«, rief Cassandra erstaunt.
Ihr verblüffter Gesichtsausdruck war ein vollkommenes Abbild meiner Miene. Seit Harris mir seinen bestürzenden Antrag gemacht hatte und ich unverzüglich aus dem Zimmer geeilt war, befand ich mich in einem Zustand äußerster Fassungslosigkeit und größter Verwirrung. Ich hatte Cassandra in Gesellschaft der Schwestern Bigg angetroffen, deren abgewandte Blicke und erwartungsvollen Gesichter mir verrieten, dass sie gewusst hatten, dass Harris mir einen Antrag zu machen beabsichtigte.
Nun saßen meine Schwester und ich hinter verschlossener Tür in dem Gästeschlafzimmer, das wir uns teilten, und ich hatte ihr gerade davon berichtet, was sich abgespielt hatte.
»Er hat dir tatsächlich einen Heiratsantrag gemacht?«, fragte Cassandra nach. »Harris?«
»Ja.« Ich ging nervös auf und ab, der Magen krampfte sich mir zusammen, und die Gedanken schwirrten mir nur so im Kopf herum. Ich wusste nicht, was ich denken oder fühlen sollte.
»Und was hast du gesagt?«
»Ich habe gesagt – ich weiß kaum, was ich geantwortet habe. Ich habe gesagt, dass ich Zeit zum Nachdenken brauche.«
»Das kam wirklich völlig unerwartet. Ich muss gestehen, ich bin erstaunt.«
»Genau wie ich.«
»Ich hatte ja keine Vorstellung davon, dass er dich so gesehen hat. Als, als …«
»Als Ehefrau?«
»Mehr als das«, erwiderte Cassandra. »Als Geliebte.«
»Ich auch nicht. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, bin ich bis jetzt noch nicht sicher, dass er mich so sieht.«
»Wie meinst du das?«
»Er hat mir weder eine Liebeserklärung gemacht noch irgendeine Andeutung eines zärtlichen Gefühls durchklingen lassen.«
»Nicht?«
»Überhaupt nicht. Die Betonung lag mehr auf der Ehre, die er mir als Erbe von Manydown Park mit dem Antrag erwies.« Ich seufzte. »Wir wollen offen und ehrlich sein, Harris ist einundzwanzig Jahre alt, hat nur wenig gesellschaftlichen Schliff und kaum etwas, mit dem er sich seine Zeit vertreiben kann. Ich glaube, er will einfach eine Ehefrau – irgendeine Ehefrau. Ich bin mir sicher, dass seine Schwestern bei dieser Sache ihre Hände im Spiel hatten. Sie haben ihn dazu gedrängt und ihm ihre Zustimmung signalisiert. Ich bin ihnen und der Familie wohlvertraut. Und ich war eben gerade da.«
»Gewiss bist du mehr als das. Wenn er dich bittet, ihn zu heiraten, dann muss er dich doch bewundern.«
»Wenn, dann hat er es jedenfalls nie gesagt.«
»Er ist ja auch sonst kein Mann vieler Worte.«
»Nein, bestimmt nicht.« Boshaft fügte ich noch hinzu: »Als er mir den Antrag gemacht hat, hat ihn allein schon die schlichte Erklärung volle drei Minuten gekostet.« Wir prusteten los vor Lachen. Dann überkam uns die Reue, und wir gaben uns alle erdenkliche Mühe, uns wiederzu beherrschen. »Tut mir leid. Wir sollten nicht lachen. Sein Sprachfehler hat ihm und seiner Familie schon sehr viel Kummer bereitet. Es ist nicht komisch.«
»Nein, das ist es nicht. Und sein Antrag ist sogar eine sehr ernste Angelegenheit, Jane.«
»Ich verstehe. Dass ich in meinem fortgeschrittenen Alter, mit beinahe siebenundzwanzig Jahren,
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