Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
gleichzeitig ist es eine auferlegte Pflicht, nicht meine eigene Wahl. Ich bin in ein Leben hineingeboren, dessen Ablauf mir vom ersten Atemzug an vorbestimmt war.«
»Und Sie wünschten sich, Sie hätten im Leben mehr Wahlmöglichkeiten gehabt?«
»Wünscht sich das nicht jeder? So ist die menschliche Natur, denke ich, dass wir immer etwas anderes haben wollen, als das, was wir haben, ganz gleich, wie sehr uns das Glück begünstigt hat.« Wir hatten nun das äußerste Ende der Abtei umrundet und waren auf einer Wiese angelangt, die zu einem Wäldchen führte. »Sagen Sie mir, wovon haben Sie als kleines Mädchen geträumt?«
»Ein Mädchen kann nicht viel weiter träumen als bis zu einer Ehe und Kindern.«
»Ein typisches Mädchen schon. Aber Sie, finde ich, sind alles andere als typisch.«
Darüber musste ich lächeln. »Ich hatte einmal einen Traum, aber …«
»Aber?«
Ich hielt inne und schüttelte den Kopf. »Es war nichts. Es ist zu lächerlich.«
»Kein Traum ist je zu lächerlich.«
»Dieser schon. Ich habe ihn schon längst aufgegeben. Lassen Sie uns von anderen Dingen reden.«
»Nachdem ich Ihnen meine Seele offenbart habe? Nachdem ich ihnen gestanden habe, dass ich mein Erbe aufgeben, weglaufen und zur See gehen wollte? Sicherlich könnte nichts, das Sie sagen, lächerlicher sein als das.« Als ich nicht antwortete, sagte er: »Lassen Sie mich raten. Sie wollten zum Zirkus gehen und Gewichte heben?«
»Genau! Sie haben es erraten«, antwortete ich lachend.
»Oder Offizier werden bei Seiner Majestät Dragonern?«
Ich musste wieder lachen. »Ohne dass ich auch nur ein Wort geäußert habe, kennen Sie meine finstersten Geheimnisse.«
»Aber jetzt ernsthaft. Ihr ganzes Leben lang haben Siedavon geträumt, lassen Sie mich nachdenken … Friedensrichter zu werden?«
»Unmöglich.«
»Arzt?«
»Ein weiblicher Arzt? Sind Sie von Sinnen?«
»Sie könnten die Erste sein.«
»Ich habe weder die Eignung noch die Geduld.«
»Schauspielerin auf der Bühne?«
»Niemals.«
»Eine bekannte Romanautorin?«
Sein Vorschlag erwischte mich unvorbereitet. Das Lächeln erstarrte mir auf dem Gesicht, und ich wandte den Blick ab und verfiel in Schweigen.
»Ist es das?« Ich spürte, wie seine Augen auf mir ruhten, wie sie mein Gesicht musterten. »Schriftstellerin?« Zu meiner Beschämung entfuhr ihm ein Lachen. Ich spürte, wie meine Wangen sich mit Röte überzogen. Ich wandte mich um, packte meine Röcke und rannte davon.
»Miss Austen! Warten Sie!« Ich hörte seine bekümmerte Stimme und seine raschen Schritte hinter mir, während ich über die Wiese auf den Wald zulief.
»Halt!«, rief er. »Bitte verzeihen Sie mir! Ich habe damit nicht gemeint …«
Er war flink, aber ich auch. Obwohl mein Mieder mich daran hinderte, so tief einzuatmen, dass ich wirklich schnell laufen konnte, gelang es mir doch, ihm zu entkommen und in den Schutz der Bäume fliehen. Doch bald musste ich bei einem großen, von Sträuchern umwucherten Teich unter kahlen, stämmigen Eichen stehenbleiben und nach Luft schnappen. Schon überholte mich Mr. Ashford und blieb vor mir stehen.
»Alle Achtung, Sie können rennen!«, sagte er japsend.»Bitte hören Sie mich zu Ende an. Ich glaube, Sie haben mich missverstanden. Ich wollte nicht respektlos sein.«
»Ach wirklich?«, erwiderte ich hitzig. »Ihr Lachen ließ aber andere Schlüsse zu. Es ist dieses Lachen, genau diese Reaktion, die ich mein Leben lang zu vermeiden suchte.«
»Es tut mir leid. Aber ich versichere Ihnen, es war kein abschätziges Lachen. Es war ein Lachen des Erkennens und des grenzenlosen Entzückens. Sie sind doch sicher einer Meinung mit Dr. Johnson 28 , dass Schreiben, ›die Fähigkeit , anderen Vergnügen zu bereiten, das harmloseste Vergnügen ist, rein und unverwässert, die größte Kraft ist, die ein Mensch besitzen kann‹.«
Ich kannte dieses Zitat, hatte es oft selbst benutzt. Die Aufrichtigkeit und Bewunderung in seiner Stimme war unverkennbar, und die Beschämung, die ich empfunden hatte, verging allmählich.
»Nachdem ich aus Ihrem Munde vor nicht ganz einer Stunde eine Probe Ihres Talentes erhalten habe, hätte ich es sofort erraten müssen«, meinte er. »Sagen Sie mir, was schreiben Sie?«
»Nichts von Bedeutung.«
»Und wie lange schreiben Sie schon nichts von Bedeutung?«
Ich zögerte. Seine Art, die Freundlichkeit in seinen Augen, sein direkter Blick und seine tiefe Stimme, die alle zugleich Empfindsamkeit und leichtes
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