Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
sich nichts machen, also zogen sich die Bediensteten zurück. Das Pochen dauerte die ganze Woche hindurch weiter an, ohne im Geringsten nachzulassen. Am siebten Tage veränderte sich das Geräusch. Es klang heller, als hiebe man mit einem Hammer auf Ketten. Dies ging nun zwei Wochen so weiter. Maria konnte nicht schlafen, sie konnte nicht essen, sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, so sehr fürchtete sie sich. Wer oder was war dort in dem Turm eingesperrt? War es ein Mensch? Ein Gespenst? Wenn ihr Mann wirklich tot war, war dies sein Geist, der gekommen war, um bei ihr zu spuken? Nun übermannte sie eine neue Angst. Vielleicht war es überhaupt nicht der Geist ihres Gatten. Vielleicht war es der Geist seiner ersten, verstorbenen Frau, die, erbost über seine erneute Heirat, zurückgekommen war, um seine zweite Frau heimzusuchen und in den Wahnsinn zu treiben?«
Ich hielt inne, spürte, dass aller Augen auf mich gerichtet waren. Da bemerkte ich einen neuen Zug in Mr. Ashfords Blick, einen Ausdruck tiefsten Vergnügens und großer Bewunderung, wie ich ihn noch bei keinem anderen Menschen gesehen hatte. Und es lag noch eine Spur von etwas anderem darin, das eher einem sehr verwunderten Erstaunen glich. Während sich unsere Blicketrafen und wir einander tief in die Augen schauten, begann mein Herz freudige Sprünge zu machen, und plötzlich hatten sich meine Gedanken in alle vier Windrichtungen verflüchtigt.
»Was ist dann geschehen?«, rief Mr. Churchill aufgeregt.
»Ja, was hat Maria getan?«, erkundigte sich Cassandra.
Ich riss meinen Blick von Mr. Ashford los und räusperte mich, versuchte mit äußerster Mühe, mich wieder zu sammeln. »Als sie es schließlich nicht mehr länger aushalten konnte, als sie schon fürchtete, wahnsinnig zu werden, da … da …« Zum ersten Mal, seit ich mich erinnern konnte, fehlten mir beim Erzählen einer Geschichte die Worte.
Mr. Ashford, der offensichtlich meine Notlage spürte, mischte sich ein. »Hat sie eine Axt geholt?«
»Ja!«, rief ich erleichtert aus. »Genau. Sie hat eine Axt geholt.«
»Und was war dann?«, wollte Mr. Churchill wissen.
»Ja, was war dann?«, wiederholte ich und wandte mich mit einem Lächeln an Mr. Ashford.
»Und dann«, erwiderte Mr. Ashford mit lebhafter Stimme, »packte Maria mit großer Mühe und der Kraft der Verzweiflung die Axt und hieb sie durch das Holz der eichenen Tür zum Turm.«
»Danach fasste sie herein und zog den eisernen Riegel auf«, fuhr ich fort.
»… worauf sie die Tür öffnete …«
»… und die Treppe hinaufhastete …«
»… bis in das Turmzimmer ganz oben …«
»… wo sie durch die Tür hineinrannte …«
»… um dort …« Mr. Ashford machte eine Pause und wartete, dass ich den Satz vollendete.
»… Graf Monstro selbst zu finden«, sagte ich.
»Sie meinen, sein Gespenst?«, fragte Maria atemlos.
»Nein, er war noch sehr lebendig und wohlauf. Wie man sich vorstellen kann, war Marias Erleichterung ungeheuerlich. Aber noch wunderbarer war der Anblick des Gegenstandes, der neben ihm zu sehen war.«
»Was war das?«, hauchte Cassandra.
»Mitten im Zimmer stand eine herrliche Marmorstatue, die Maria selbst darstellte. Graf Monstro hatte sie als ewiges Zeichen seiner Liebe geschaffen.«
Alle jauchzten vor überraschtem Entzücken, und die Damen seufzten anerkennend. Es folgte allgemeiner Applaus.
»Bravo!«, rief Mr. Churchill.
»Wunderbar«, sagte Cassandra.
»Ich war die ganze Zeit so gespannt«, meinte Maria.
»Vielen Dank.« Ich lachte. »Aber diese Ehre muss ich mir mit Mr. Ashford teilen.«
»Wohl kaum«, meinte der. »Das ist alles Ihrem Genie zu verdanken. Ich könnte ebenso wenig eine Geschichte erfinden, wie ich einhändig eine Fregatte segeln könnte.«
»Na, das ist mal ein furchterregender Gedanke«, wandte Mr. Churchill mit einem Lachen ein. »Ein Gentleman vom Land, der sich in seinem Leben noch nie die Finger schmutzig gemacht hat, am Ruder eines Schiffes der Marine Seiner Königlichen Majestät.«
Kurz wich das Lächeln von Mr. Ashfords Gesicht, da ihn diese Bemerkung getroffen zu haben schien. Aber er hatte sich rasch wieder in der Gewalt und erhob sich. »Mir ist nach einem Spaziergang zumute. Wer möchte sich mir anschließen?«
Die Gesellschaft murrte, sie seien alle zu müde und zusatt, um noch mehr zu gehen, als unbedingt nötig wäre, um zum Boot zurückzukehren, das uns wieder nach Hause bringen sollte.
»Ich würde gern noch einmal einen letzten Rundgang machen«,
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