Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
Kerze in der Hand hereinkam. Meine eigene Kerze, bemerkte ich plötzlich, war bis auf einen kleinen Stummel heruntergebrannt, und das Feuer im Kamin war beinahe erloschen. Ich konnte nicht sagen, wie lange ich im Kalten und beinahe im Finstern gesessen und gearbeitet hatte.
»Jane? Geht es dir gut?«, fragte Cassandra leise. »Was machst du denn da? Es ist ja eiskalt hier.« Sie legte Kohle nach und zog dann die Vorhänge auf, sodass das frühe Morgenlicht ins Zimmer strömte. Als sie dann den Federkiel in meiner Hand, meine tintenverschmierten Finger und den Stapel beschriebener Seiten auf dem Tisch vor mir bemerkte, stieß sie einen freudigen kleinen Jauchzer aus. »O Jane! Was schreibst du?«
Ich beendete rasch den Satz, den ich gerade kritzelte, und sagte: »Eine brandneue Fassung eines sehr alten Buchs.«
»Welchen Buchs?«
»
Vernunft und Gefühl.
Ich habe einen völlig neuen Anfang entworfen.«
»Was hat denn mit dem alten Anfang nicht gestimmt?«
»Alles.« Ich legte meinen Gänsekiel aus der Hand und trocknete meine Finger an einem Lappen ab. »Die Schwestern Digweed lebten mit beiden Eltern ein bequemes und behagliches Leben in einem Dorf auf dem Land, und Elinor traf Edward Ferrars auf einem Ball.«
»Was soll denn daran verkehrt sein? Wenn ich mich recht entsinne, war deine Beschreibung von Edward auf diesem Ball außerordentlich amüsant.«
»Nun, ich habe das alles herausgeworfen. Es war dem Anfang von
Erste Eindrücke
viel zu ähnlich, und es war überhaupt nicht zwingend. Elinor und Marianne waren nichts als zwei Schwestern, deren Weltsicht sich dramatisch unterschied, aber sie hatten keinen besonderen Kummer. Ihr Leben war wohlgeordnet, also machen wir uns keine Sorgen um sie. Ich hoffe, dass mein neuer Anfang sehr viel besser ist, denn nun wirft das Schicksal sie in schreckliche Lebensumstände. Ihr Vater stirbt, musst du wissen, und sie und ihre Mutter und ihre kleine Schwester müssen das geliebte Zuhause ihrem älteren Bruder überlassen. Sie wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen, und haben nur ein sehr geringes Einkommen.«
Cassandra starrte mich an. »Wie überaus vertraut das klingt.«
Ich bemerkte, dass ich errötete. »Nun ja, es baut ein wenig auf dem auf, was uns geschehen ist. Da Marianne eine so empfindsame Person ist, schien es mir nur recht und billig, mich auf den tiefen Schmerz zurückzubesinnen, den ich empfunden habe, als wir von Steventon wegzogen und als später Papa starb.«
»Was für ein guter Gedanke. Wenn du schreibst, was du selbst gefühlt hast, dann kann deine Arbeit nur noch besser werden, sollte man meinen.«
»Das hoffe ich auch.« Ich sammelte meine neuen Seiten zusammen und hielt sie ihr hin. »Hier, lies selbst. Ich arbeite noch weiter. Das erste Kapitel habe ich fertig, und mit dem zweiten mache ich hervorragende Fortschritte.«
»Du musst die ganze Nacht aufgewesen sein!«, sagte Cassandra vorwurfsvoll.
»Und ich werde kein Auge zutun, ehe ich nicht deine Meinung dazu gehört habe.«
Cassandra seufzte, lächelte aber dabei und setzte sich neben mich. »Du weißt doch, dass ich deinen Geschichten nie widerstehen konnte, Jane. Ich schaue mir das gleich an.«
Cassandra war begeistert von dem, was ich geschrieben hatte. So ermutigt, machte ich ein Nickerchen. Am Nachmittag wachte ich kurz vor der Zeit auf, zu der Mr. Ashford, wie versprochen, zu Besuch erschien.
Ich freute mich sehr, ihn zu sehen, und sagte ihm das auch. Es war mir ein Vergnügen, unsere Bekanntschaft fortzusetzen. Ich konnte nicht leugnen, dass ich mich in seiner Gesellschaft glücklicher, lebendiger und beschwingter fühlte als je mit einem anderen Mann. Aber im Augenblick brummte mir der Kopf, weil ich zwei Nächte lang nur wenig Schlaf gefunden hatte, und ich konnte nur mit Mühe mein ständiges Bedürfnis nach einem herzhaften Gähnen unterdrücken.
Wir hatten kaum fünf Minuten im Wohnzimmer gesessen und uns über unseren wunderbaren Ausflug vom Vortag unterhalten, als ich zu meinem Entsetzen spürte, dass mir die Augen zufielen, der Kopf herabsank und ichgar Gefahr lief, vom Stuhl zu sacken. Ich riss mich rasch zusammen und setzte mich mit einem Ruck wieder kerzengerade auf. Doch Mr. Ashford sprang auf und schaute mich äußerst besorgt an.
»Es geht Ihnen doch gut, Miss Austen?«, fragte er mich fürsorglich.
»Verzeihen Sie, ich bin heute nicht ich selbst. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen«, antwortete ich und fügte mit einem Lächeln hinzu: »Und die
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