Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
Seit ich sie geschaffen habe, habe ich mich bei so mancher Gelegenheit, wenn ich vor wichtigen Entscheidungen stand, gefragt: Was würde Elinor jetzt tun?«
»Und antwortet Elinor?«, erkundigte er sich belustigt.
»Ja. Sie ist eine unfehlbare Beraterin, was korrektes und kluges Verhalten angeht.«
»Aber sicherlich finden Sie Elinor nicht vollkommen«, meinte er. »Sie ist sehr praktisch veranlagt, sie ist bewundernswert, sie beherrscht ihre Gefühle wunderbar. Doch kann man wirklich sein Leben auf diese Weise meistern? Finden Sie nicht, dass auch Mariannes Offenheit und Begeisterung für das Leben etwas sehr Anziehendes hat?«
»Ja, obwohl Marianne die Dinge manchmal zu weit treibt.«
»Aber sie hat so viel Courage und ein solches Feuer! Wenn ich mich verliebte, dann zum Teufel mit der Vernunft! Ich …« Hier hielt er inne und wandte den Blick ab, als müsste er seine Gefühle mühsam beherrschen.
Er hatte sozusagen eine Tür aufgestoßen. Und ich sah keinen Grund, warum ich nicht hindurchrennen sollte. »Wenn ich mich verlieben sollte«, erwiderte ich mit wachsender Erregung, »dann möchte ich so handeln wie Marianne.«
Er nickte mir leidenschaftlich zu und rutschte auf der Bank noch näher zu mir hin. »Ja. Und ganz spontan sprechen.«
»Direkt aus dem Herzen.«
»Und Liebe jenseits aller Vernunft verspüren.«
»Und nichts als verwundertes Staunen und Begeisterung.«
»Und eine alles verzehrende Leidenschaft!«
»Ja.«
»Ja!«
Wir schauten einander in die Augen. Ich sah in den seinen eine tiefe, glühende Zuneigung. War dies der Augenblick?,fragte ich mich, und mein Herz schlug so wild, dass ich dachte, er müsste es sicherlich pochen hören. Würde er jetzt gleich sagen, dass er mich liebte? Hatte er die Absicht, mich zu küssen? Würde er mich bitten, ihn zu heiraten?
Doch plötzlich umwölkte sich zu meinem Entsetzen seine Stirn, und er zog sich leicht errötend zurück. Es trat eine kurze, verlegene Pause ein, und er schien beunruhigt und erregt. Endlich sagte er: »In Ihrem Roman bringen Sie diese Gefühle hervorragend zum Ausdruck.«
Meine Wangen waren vor Enttäuschung und Verlegenheit ganz heiß. Ich wusste kaum, was ich auf diese Worte erwidern sollte. Ich wunderte mich über mich selbst. Zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte ich mir gewünscht, nein, hatte ich herbeigesehnt, dass ein Mann mich küssen würde.
Kapitel 12
»Sei vorsichtig, Jane!«, ermahnte mich Cassandra am nächsten Morgen. »Du musst alle Teller ganz mit dem Stoff umwickeln, sonst überstehen sie die Reise nicht.«
»Ich dachte, das hätte ich getan«, antwortete ich und packte den beanstandeten Teller rasch noch einmal ein.
»Warum bist du denn so zerstreut?«, fragte meine Schwester. »Nicht wegen deines Buches, denke ich.«
Ich legte den eingewickelten Teller in die Kiste und vergrub mein Gesicht in den Händen, versuchte die vielen Gefühle in Schach zu halten, die in mir tobten. »O Cassandra!«, rief ich schließlich und breitete meine Arme weit aus. »Wie kann ich dir erklären, was ich empfinde? Ich möchte die ganze Welt umarmen! Ich glaube – ich glaube, ich bin verliebt.«
Ich packte Cassandra bei den Händen und wirbelte lachend mit ihr durch das Esszimmer, bis wir mit einem Stuhl zusammenstießen und diesen krachend zu Boden warfen, was nur weitere Heiterkeitsausbrüche nach sich zog.
»Ich habe noch nie einen Mann gekannt, der es mit Mr. Ashford aufnehmen könnte!«, sagte ich, als ich den Stuhl wieder aufgestellt und ein wenig Luft geschöpft hatte. »In meinen Augen ist er vollkommen. Vom ersten Augenblick an habe ich eine so innige Verbindung zwischen uns gespürt, dass ich es kaum beschreiben kann.«
»Ich freue mich so für dich!«, rief Cassandra. »Er hat wirklich ein gewinnendes Wesen.« Kaum hatte sie dasgesagt, da musste sie schon wieder lachen. »Bitte, spanne mich keinen Augenblick länger auf die Folter. Erzähle mir alles. Seid ihr verlobt?«
»Verlobt? Sei nicht albern. Mit solcher Geschwindigkeit ist die Sache nun nicht vorangeschritten. Wir sind doch kaum mehr als drei Wochen miteinander bekannt.«
»Ja, aber wenn die Gefühle und die Neigungen bei zwei Leuten übereinstimmen, dann soll es schon vorgekommen sein, dass sie sich in sehr viel kürzerer Zeit einig geworden sind. Hat er bereits gestanden, dass er dich liebt?«
»Die Worte hat er nicht ausgesprochen. Ich glaube, gestern war er beinahe so weit, aber dann hat er den Mut verloren.« Plötzlich verging mir das
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