Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
begann ich unverzüglich mit dem Schreiben, solange meine Gedanken im frühen Licht der Morgendämmerung noch mit neuen Einfällen erfüllt waren. An manch anderem Morgen spielte ich erst ein wenig Klavier. Da das Instrument im Salon am einen Ende des Hauses untergebracht war, störte ich damit die anderen nicht beim Schlafen. Um neun Uhr bereitete ich Tee und Toast für meine Familie und zog mich nach einem angeregten Gespräch wieder ans Kaminfeuer im Salon (oder auch manchmal in mein Schlafzimmer) zurück, wo ich inglücklicher Abgeschiedenheit den restlichen Morgen beim Schreiben verbrachte.
Die Arbeit ging mir nicht immer leicht von der Hand. Während des kreativen Ausbruchs in Southampton musste ich wie besessen gewesen sein, überlegte ich. Jetzt quälte ich mich an manchem Morgen drei Stunden lang mit einem einzigen Abschnitt herum, strich beinahe jede Zeile aus und fing gar in einem vergeblichen Versuch, Vollkommenheit zu erreichen, noch einmal ganz von vorn an. An anderen Tagen konnte ich in einem hitzigen Wirbel beinahe ein halbes Kapitel verfassen, nur um später beim Überarbeiten zu dem Schluss zu gelangen, dass alles törichtes Gestammel wäre, und das Ganze dann voller enttäuschter Verärgerung ins Feuer zu werfen.
Es gab aber auch gute Tage, brillante Tage, an denen die Worte so rasch flossen, wie der Regen durch die Dachtraufen gurgelt, an denen meine Feder kaum mit meinen Gedanken Schritt zu halten vermochte, Tage, an denen meine Gestalten durch meine Finger zu sprechen schienen – eine spielend leichte Übertragung von den Gedanken in die Feder und von der Feder auf die Seite, scheinbar ohne jegliche Überlegung oder Mühe.
Auch wenn ich nicht arbeitete, redeten meine Gestalten in meinen Gedanken weiter miteinander. Es schien nicht darauf anzukommen, wo ich mich aufhielt, am Esstisch oder in einem Sessel im Salon, befasst mit dem Stopfen von Socken oder dem Säumen eines Kleidungsstücks für die Armen, oft sprang mir eine Passage von einem Dialog oder eine witzige Formulierung in die Gedanken, und dann legte ich mit einem Lachen die Gabel oder Stopfnadel aus der Hand und rannte zu meinem Schreibtisch,um mein neuestes Juwel festzuhalten, ehe der Einfall sich verflüchtigen konnte.
Wann immer einer unserer Bediensteten in den Raum trat, in dem ich gerade arbeitete, oder bei jenen seltenen Anlässen, wenn jemand außerhalb meines engsten Familienkreises zu Besuch kam, legte ich rasch meine Seiten fort oder bedeckte sie mit einem Blatt Löschpapier und zog meine Handarbeit hervor, stets sogfältig darauf bedacht, dass meine Beschäftigung von niemandem entdeckt würde. Zwischen dem Vestibül und den Hauswirtschaftsräumen befand sich eine Schwingtür, die zum Glück quietschte, wenn man sie öffnete. Diese kleine Unannehmlichkeit begrüßte ich sehr, und ich sprach mich dagegen aus, dass sie beseitigt würde, gab sie mir doch immer ein Zeichen, dass bald jemand ins Zimmer treten würde.
Die Jahreszeiten zogen vorüber. Der Sommer schwand dahin, Michaelis kam und ging, und der Herbst kam mit seinem strömenden Regen, den kühlen Winden und fliegenden, welken Blättern ins Land. Man berichtete mir, unser erstes Weihnachtsfest in Chawton wäre fröhlich und strahlend hell und der Winter 1810 sehr kalt und trocken gewesen, aber ich kann mir dessen nicht sicher sein, so sehr war ich von meinem Schreiben gefesselt.
Henry kam ab und zu mit seiner Kutsche vorbei, wenn die Bankgeschäfte ihn nach Alton riefen. Ein, zwei Mal hat er Cassandra und mich auf Ausflüge mitgenommen. Edward besuchte uns in jenem Herbst und brachte seine älteste Tochter Fanny mit. Inzwischen sechzehn Jahre alt, war Fanny zu einem liebevollen, bezaubernden Mädchen und einer der großen Freuden meines Lebens herangewachsen. Seit dem Tod ihrer Mutter war sie ihrem Vater eine hingebungsvolle und hochgeschätzte Gefährtin geworden,und wir hatten immer viel Freude an ihrer Gesellschaft.
Nachmittags ging ich oft mit Martha oder Cassandra zum Einkaufen nach Alton oder spazierte zu einem unserer vielen Teiche oder durch die Wiesen gegenüber zu einem plätschernden Bach. Ich habe eine vage Erinnerung daran, dass ich die Middletons, Edwards Pächter im Herrenhaus, einige Male besucht habe. Es waren sehr nette Leute, deren Namen ich mir für Personen in einem Buch auslieh. 40 Aber meistens lebten wir vier Frauen sehr zurückgezogen, und unser Familienkreis wurde nur selten durch Freunde oder Nachbarn vergrößert. Ich war glücklich
Weitere Kostenlose Bücher