Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
übelste aller Schufte!«, stimmte auch Martha ein. »Kannst du ihn nicht wenigstens ein bisschen weniger schurkenhaft machen?«
»Das kann ich und will ich nicht«, beharrte ich. »Willoughby ist, wie er ist. Die Welt ist voller Schurken und Schufte. Besser, dass Marianne es mit siebzehn erfährt und aus ihren Fehlern lernt.«
»Ich finde, du gehst mit der armen Marianne sehr herzlos um«, meinte meine Mutter.
Ich stimmte ihr darin nicht zu. Aber während wir uns durch den Rest des Buches arbeiteten, fragte ich mich, ob die Wut über meine eigene Lage wohl mein Urteilsvermögen getrübt hatte. Selbst ich fand Willoughby so verachtenswert, dass ich beschloss, ihn schließlich doch ein bisschen zu rechtfertigen, wenn auch nur ein klein wenig. Kurz vor Ende fügte ich, zur großen Genugtuung aller Frauen meines Haushalts, eine Szene ein, in der Willoughby zurückkehrt und sich entschuldigt.
»Danke, Jane«, sagte Cassandra erleichtert, als ich die neu geschriebene Szene vorlas. »Jetzt geht es mir viel besser.«
»Mir auch«, erklärte Martha und wischte sich ein Tränchen ab. »Denn obwohl Willoughby sich sehr schlecht benommen hat, ist es doch gut zu wissen, dass er Mariannewirklich geliebt und sein Verhalten sehr bedauert hat.«
»Ich finde immer noch, dass es insgesamt ein besseres Buch wäre, wenn er die andere Frau erst gar nicht geheiratet hätte«, rief meine Mutter leidenschaftlich. »Ich muss sagen, dass ich nicht verstehe, worauf du damit hinaus willst, Jane. Wir möchten alle, dass es ein glückliches Ende nimmt, weißt du. Und was für einen glücklichen Ausgang kann es denn jetzt für die arme Marianne geben, selbst wenn sie nicht an gebrochenem Herzen stirbt?«
»Hast du Colonel Brandon vergessen?«, warf Cassandra ruhig dazwischen. »Er liebt sie doch schon von Anfang an.«
»Oh, das stimmt!«, erwiderte meine Mutter. Sie saß einen Augenblick nachdenklich da. »Ich verstehe, ich verstehe. Nun, das ist ein schöner Gedanke. Colonel Brandon ist allerdings wirklich ein Schatz.«
»Ich würde ihn selbst heiraten, wenn er hier zur Tür hereinkäme«, meinte Martha lachend.
»Jane hat versprochen, dass ihre Bücher immer mit mindestens einer Hochzeit enden«, sagte Cassandra, »oder zwei, wenn irgend möglich.«
»Aber was wird aus Elinor?«, fragte meine Mutter in plötzlicher Sorge und fuhr sich mit der Hand an die Kehle.
»Ja, was wird mit der lieben, lieben Elinor?«, fragte Martha.
»Wie willst du das denn auflösen, Jane?« Meine Mutter seufzte und wedelte betrübt mit den Händen. »Ihr Edward ist inzwischen so gut wie mit Lucy vermählt.«
Traurigkeit beschlich mein Herz, aber ich zwang mich zu einem Lächeln. »Sorgt euch nicht. Ihr bekommt euer glückliches Ende, das verspreche ich euch.«
Ich schloss das Buch im zeitigen Frühjahr ab, und natürlich mit dem erwünschten glücklichen Ausgang. Meine Familie von Literaturkritikerinnen schien davon sehr angetan und ermutigte mich, den Roman zu Henry nach London zu bringen, um herauszufinden, ob er nicht für eine Veröffentlichung sorgen könnte.
Bei dem Gedanken pochte mein Herz voller Ängstlichkeit. Ich hatte mit Herz und Seele und all meinen Gedanken an diesem Werk gearbeitet und zwei oder drei Jahre meines Lebens mit seiner Ausführung verbracht. Was wäre, wenn es niemand kaufen wollte? Wenn alle meine Mühen wie in der Vergangenheit vergebens gewesen wären?
»Ich bin mir nicht sicher, ob das Buch schon fertig ist«, protestierte ich. »Ich muss ihm noch einige Aufmerksamkeit widmen.«
»Jane«, ermahnte mich Cassandra streng. »Du kannst nicht ewig an einem Buch arbeiten. Du musst eine Abschrift anfertigen und nach London bringen.«
Ich seufzte. »Dann musst du mitkommen.«
Kapitel 22
Es war uns ein Hochgenuss, Henry und seine Frau Elizabeth in London zu besuchen. Ihr Haus lag an der Sloane Street, einer langen, sehr eleganten Allee in den Außenbezirken Londons. Außer ihrer quicklebendigen Gesellschaft und all den Attraktionen einer großen Stadt in unmittelbarer Nähe hatten sie auch noch zwei französische Zofen und einen hervorragenden französischen Koch zu bieten.
Meine liebe Cousine Eliza (die Tochter der Schwester meines Vaters) war in Frankreich aufgewachsen und hatte dort ein Leben geführt, das mir gleichermaßen exotisch und spannend, wenn auch von Tragödien überschattet, erschien. Ihr erster Ehemann, Graf Jean Capotte de Feuillide, war 1794 der Guillotine zum Opfer gefallen, und ihr einziger Sohn war
Weitere Kostenlose Bücher