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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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16. Oktober. Meine ersten sechs, wunderschön gebundenen Exemplare von
Jane Eyre, eine Autobiographie, herausgegeben von Currer Bell
trafen am 19. Oktober bei uns ein. Wenn ich schon angesichts der gedruckten Ausgabe unseres Gedichtbandes große Freude empfunden hatte, so war das nichts verglichen mit dem Hochgefühl, das mich nun durchströmte. Endlich war mein Wunsch in Erfüllung gegangen. Ich hielt mein eigenes Werk als gebundenes Buch in Händen, eine Geschichte, die meiner eigenen Erfahrung und Phantasie entsprungen war und nun durch die Gnade Gottes, durch das Wunder der Sprache und den Einsatz der Druckerpresse auch anderen zur Lektüre zur Verfügung stand!

VIERZEHN
    Ich hatte meine Erwartungen bezüglich des Erfolgs von
Jane Eyre
bewusst niedrig gehalten. Mir war bekannt, wie launisch Kritiker sein können und dass das Wohlwollen der Öffentlichkeit nur schwer zu erlangen und noch viel schwerer aufrechtzuerhalten ist. Die breite Leserschaft interessierte sich nicht für Autoren, von denen sie noch nie etwas gehört hatte, und sie konnte sehr wetterwendisch sein. Und doch wünschte ich mir so sehr, dass es dem Buch gut ergehen möge, und wenn nur, um die zuversichtliche Hoffnung meiner liebenswerten Verleger nicht zu enttäuschen, die sich mit dem Werk solche Mühe gegeben hatten.
    In Haworth vergraben, las ich mit großem Interesse die Besprechungen in den Zeitungen und Zeitschriften, die mir Mr. Williams zuschickte. Viele fanden nichts an dem Roman auszusetzen.
    »Eine Geschichte von überragendem Interesse«, las ich meinen Schwestern in jenem Oktober laut aus dem
Critic
vor, »die wir von ganzem Herzen empfehlen können. Sie wird sicher auf große Nachfrage stoßen.«
    »Ha!«, rief Emily. »Das hätte ich dir auch sagen können!«
    »›Dies ist ein außergewöhnliches Buch‹«, las ich begeistert wenige Wochen später in
Era
. »›Es ist zwar Dichtung, aber doch mehr als ein gewöhnlicher Roman, denn es atmet Natürlichkeit und Wahrheit. Wir kennen unter den zeitgenössischen Werken keines, das es ihm gleichtun könnte. Alle ernsthaften Romanschreiber unserer Tage verlieren im Vergleich mit Currer Bell.‹ Oh, was für ein hohes Lob! Das verdiene ich sicherlich nicht.«
    »O doch!«, antwortete Anne.
    Ich war wie benommen von all der zustimmenden Anerkennung, die ich in den folgenden Monaten mit der Post zugeschickt bekam. Nicht alle Kritiken waren jedoch freundlich; manche erklärten,
Jane Eyre
sei zu vulgär und unmoralisch, ein Einwand, den ich bis heute nicht verstanden habe und der mich sehr verletzte; andere prangerten Mr. Rochesters Verhalten als »wenig wohlanständig« an und fanden gewisse Vorkommnisse unglaubwürdig oder unwahrscheinlich. Zu meiner Erleichterung war jedoch die vorherrschende Meinung unglaublich wohlwollend. Ein Rezensent nannte das Werk sogar »sicherlich den besten Roman des Jahres«. Mr. Smith schrieb mir, dass die Nachfrage alles bisher Dagewesene überstieg; innerhalb von drei Monaten nach Erscheinen waren alle 2 500 Exemplare ausverkauft, und
Jane Eyre
erlebte eine zweite Auflage.
    Die Frage nach meiner Identität rief einige Spekulationen hervor. Zahlreiche Artikel in der Presse, die vorgaben, im Interesse der gesamten Leserschaft Englands zu sprechen, verlangten lauthals nach einer Antwort auf die Frage: Wer ist Currer Bell? War dies ein echter oder ein Künstlername? Hatte ein Mann oder eine Frau dieses Buch geschrieben? Viele kleine Geschehnisse im Buch wurden Buchstabe für Buchstabe daraufhin untersucht, ob sie Aufschluss auf das Geschlecht des Autors geben könnten – und alles vergeblich. Ich lachte herzlich über ihre Vermutungen und genoss meine Anonymität.
    Sehr schnell entstand ein regelmäßiger Briefwechsel mit Mr. Smith und Mr. Williams, die mich, obwohl ich bisher nicht persönlich mit ihnen bekannt war (und sie mich zu diesem Zeitpunkt noch für einen Mann hielten), mit Höflichkeit und Freundlichkeit, intellektuellem Scharfsinn und einem tiefen Vertrauen in meine Fähigkeiten behandelten, die sehrzu meinem Selbstbewusstsein und Glück beitrugen. Da ihnen bekannt war, dass ich keinen Zugang zu einer guten Leihbibliothek hatte, begannen mir meine Verleger Kisten mit den neuesten und besten Büchern zuzuschicken, die meine Schwestern und ich eines nach dem anderen verschlangen. Diese Erweiterung meiner Kenntnisse über die Literatur meiner Zeit und der laufende und anregende Gedankenaustausch mit meinen Verlegern vermittelten mir das Gefühl, ein

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