Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
von
Sturmhöhe
und
Agnes Gre y
.
Ellen betrachtete die Bücher überrascht. »Danke. Ich habe schon davon gehört. Es waren wohl Emilys Lieblingsbücher?«
Anne und ich tauschten ein kleines Lächeln aus – das erste Lächeln, das sich seit vielen Monaten auf meine Lippen stahl. »Ich denke schon«, erwiderte Anne.
»Emily wäre allerdings die Letzte gewesen, die das offen zugegeben hätte«, fügte ich hinzu, »aber sie hat diese Ausgabe von ganzem Herzen geliebt, denn die ersten beiden Bändesind ein Werk, das ihrer eigenen Feder entstammt. Und sie hat wahrhaftig eine Person in diesem Roman, eine Frau namens Nelly Dean, nach dir benannt, Nell.«
»Nach mir?« Ellen schaute auf den ersten Band und dann zu mir. »Willst du damit sagen, Emily hat
Sturmhöhe
geschrieben?«
»Ja«, erwiderte ich.
»Emily war
Ellis Bell
?«
»Ja.«
Ellens Augen weiteten sich plötzlich in äußerstem Erstaunen. Dann wandte sie ihren Blick zum dritten Band und schaute von mir zu Anne und wieder zu mir zurück. »Und wer ist dann Acton Bell?«
»Das bin ich«, gab Anne zu.
»Oh!«, rief Ellen, und all ihre Verwunderung und tiefe Wertschätzung lagen in dieser einzigen Silbe. »O Anne!« Nun wandte sich Ellen langsam und mit weit offen stehendem Mund zu mir. »Dann bist ja sicherlich du, Charlotte …«
»Ja«, sagte ich und errötete, während ich versuchte, ein weiteres Lächeln zu unterdrücken. »Das bin ich.«
Ellen sprang erregt auf. »Ich wusste es! Ich wusste es! Ich habe nie vergessen, wie großartig du Geschichten erzählt hast, als wir in der Schule waren. Und ich habe dich in meinem eigenen Haus am Manuskript arbeiten sehen. Wie oft habe ich dich nicht gefragt: ›Hast du ein Buch veröffentlicht?‹ Und du hast mich immer streng getadelt und ›Nein‹ gesagt. Als ich letzten Sommer meinen Bruder John in London besucht habe, war der ganze Haushalt dort in hellem Aufruhr, weil alle unbedingt ein Exemplar von
Jane Eyre
haben wollten. Und sobald das Buch eingetroffen war und die erste halbe Seite laut vorgelesen war, habe ich instinktiv gespürt, dass es dein Buch sein musste. Es war, als wärst du in jedem Wort anwesend, deine Stimme und dein Geist und all deine Gefühle. Oh! Wieich mich danach gesehnt habe, die Wahrheit zu erfahren – ich habe dir geschrieben und dich angefleht, mir die Wahrheit zu sagen – und du hast sie mir trotzdem verweigert!«
»Es tut mir leid, liebste Ellen. Ich wollte nicht lügen, aber Emily hat mir verboten, irgendjemandem etwas davon zu erzählen. Weil wir Pseudonyme mit demselben Nachnamen gewählt hatten, konnte ich meine Identität nicht enthüllen, ohne auch die ihre preiszugeben. Nun, da sie von uns gegangen ist, wollen Anne und ich zwar weiterhin unsere Anonymität wahren, aber wir sehen keine Notwendigkeit mehr, dir gegenüber das Geheimnis noch länger zu hüten.«
»Was kann ich schon sagen außer: Ich bin so stolz auf euch!« Ellen schloss erst mich und dann Anne herzlich in die Arme. Sie schüttelte noch immer verwundert den Kopf und sagte: »Ihr seid beide so schlau. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, einen Roman zu schreiben. Nun müsst ihr mir aber in allen Einzelheiten erzählen, wie es dazu gekommen ist.«
In den letzten Monaten des Jahres 1848 war unsere gesamte Aufmerksamkeit auf Emilys Krankheit und ihren Niedergang gerichtet gewesen. Gleichzeitig konnte ich inzwischen jedoch meine wachsende Besorgnis über Anne nicht mehr leugnen. Jeden Tag und jeden Abend tönte Annes tiefer, hohler Husten durch das Pfarrhaus. Als das neue Jahr angebrochen war, ließ Papa, der entschlossen war, den bestmöglichen medizinischen Rat einzuholen, einen angesehenen Arzt aus Leeds kommen, der sich auf Schwindsucht spezialisiert hatte und Anne mit dem Stethoskop untersuchte.
»Es handelt sich, muss ich Ihnen leider sagen, um einen Fall von tuberkulöser Schwindsucht, einhergehend mit Kongestion der Lunge«, teilte Mr. Teale Papa und mir in derUngestörtheit von Papas Studierzimmer in sachlichem Ton mit, nachdem er die Untersuchung abgeschlossen hatte.
Mir schnürte der Schreck den Hals zu, sodass ich kein Wort hervorbrachte. Papa fragte leise: »Kann man dagegen gar nichts tun?«
»Ich denke schon«, antwortete Mr. Teale. »Die Krankheit ist noch nicht weit fortgeschritten. Vielleicht kann man sie eindämmen oder sogar zurückdrängen, vorausgesetzt, Ihre Tochter nimmt die von mir verordneten Medikamente ein und befolgt streng meine Ratschläge, viel zu ruhen und die Kälte
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