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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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Hand legen.«
    Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg, und wandte den Blick ab. Ich freute mich über seine Reaktion, war aber gleichzeitig entsetzt. Es ist eine Sache, seine Seele unter dem Mantel der Anonymität offenzulegen, jedoch eine ganz andere, dies zu tun, wenn dieser Schutzschild verschwunden ist und man der Welt nackt und bloß gegenübersteht.
Jane Eyre
enthüllte einige meiner innersten Gedanken und Gefühle über die Liebe, die Moral und die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Es enthüllte eine Seite meines Charakters, die man (da ich eine unverheiratete Frau war, die Mr. Nicholls als alte Jungfer bezeichnet hatte) meiner Meinung nach so auslegenkonnte, dass es die leidenschaftlichen Ergüsse einer liebeskranken alten Jungfer waren. Sah mich Mr. Nicholls etwa in diesem Lichte? Ich wusste es nicht.
    »Ich hätte nie vermutet, dass es Sie interessieren würde, einen solchen Roman zu lesen«, war meine ruhige Antwort.
    »Ich bin mit der Literatur der Antike aufgewachsen, das muss ich zugeben, und ich habe nie zuvor ein Buch dieser Art gelesen, noch habe ich je ein Buch gelesen, das von einem Menschen geschrieben wurde, den ich kenne. Es war eine völlig neue und aufregende Erfahrung, Ihre Geschichte zu lesen, Miss Brontë. Es war – es
ist
ein sehr gutes Buch.«
    »Danke.«
    Er schüttelte ehrfürchtig den Kopf. »Ich habe mir sagen lassen, dass auch Ihre Schwestern Bücher veröffentlicht haben.«
    »Ja.«
    »Die ganze Familie Brontë – eine Ansammlung von Schriftstellerinnen! Ich wünschte, ich hätte es gewusst, als sie alle noch lebten. Wenn ich denke, dass dies hier vor meiner Nase geschehen ist, und ich habe nie den geringsten Verdacht geschöpft! Zumindest löst sich auf diese Weise das große Geheimnis, wozu Sie das viele Schreibpapier benötigt haben.«
    Seine Augen zwinkerten so fröhlich, dass ich mich eines Lächelns nicht erwehren konnte. Dann lachte er laut heraus, und ich musste in sein Lachen einfallen. »Ich schäme mich immer noch sehr wegen dieser Angelegenheit«, sagte ich zwischen Heiterkeitsausbrüchen. »Es war überaus freundlich von Ihnen, dass Sie den ganzen weiten Weg für uns gegangen sind, als wir das Papier so dringend brauchten. Und doch war ich derart dickköpfig, dass ich das damals nicht zu schätzen wusste.«
    »Das macht nichts. Es ist lange her. Ich freue mich darauf, Ihr anderes Buch zu lesen, kann es aber nirgends auftreiben. Hätten Sie etwas dagegen, mir ein Exemplar zu leihen?«
    Diese Bitte erfüllte mich mit neuer Besorgnis und trieb mir wieder die Röte auf die Wangen. Ich hatte in
Shirley
viele Szenen geschrieben, die auf persönlichen Erfahrungen beruhten, und ich hatte ein Trio von selbstgefälligen und aufgeblasenen Hilfspfarrern in das Buch aufgenommen, die durchaus ihre Vorbilder in der näheren Umgebung hatten – und von denen zwei Mr. Nicholls’ ganz besondere Freunde waren. Gegen Ende hatte ich auch kurz eine Figur eingeführt, die ein Spiegelbild von Mr. Nicholls war. Da meine Gefühle ihm gegenüber jedoch in der jüngeren Zeit sehr viel milder geworden waren, hatte ich ihn in viel besserem Licht gezeichnet als seine Kollegen. Trotzdem machte ich mir Sorgen, wie er darauf reagieren würde.
    »Ich würde Ihnen das Buch sehr gern leihen, Sir, aber ich sollte Sie warnen. Als ich
Shirley
geschrieben habe, konnte ich nicht ahnen, dass irgendjemand in meiner näheren Umgebung das Buch lesen würde. Es scheint, dass diese Meinung sehr töricht war. Sie werden feststellen, dass bestimmte Figuren und Ereignisse im Buch Ihnen ein wenig … bekannt vorkommen. Ich hoffe, ich beleidige Sie damit nicht.«
    »Hinweis entgegengenommen. Wann kann ich das Buch denn haben?«
    Ich gab es ihm sofort. Am nächsten Tag erzählte mir seine Vermieterin Mrs. Brown, sie mache sich ernstlich Sorgen, ob Mr. Nicholls nicht ein bisschen verrückt geworden sei. Sie hätte gehört, wie er, allein im Zimmer, in laute Lachsalven ausbrach, begeistert in die Hände klatschte und mit den Füßen auf den Boden stampfte. Am Abend danach kam Mr. Nicholls zu Papa zu Besuch, und ich hörte, wie er ihm all die Szenen mit den Hilfspfarrern vorlas. Die Szene über den außer Rand und Band geratenen Hund und den Hilfspfarrer las er sogar zweimal und lachte sich beide Male schief und krumm.
    Anschließend klopfte er an die Tür zum Esszimmer, wo ich saß und las. Ich bat ihn herein. Er trat ein und begrüßte mich.
    »Möchten Sie Platz nehmen, Sir?«
    »Leider kann ich nicht

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