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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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tut mir wirklich leid.«
    Ich fand Mr. Browns Bemerkung höchst interessant, insbesondere, da er doch vor nur fünf Monaten diesen Herrn am liebsten erschossen hätte. »Wissen Sie, wohin er wollte?«, fragte ich.
    »Erst für ein paar Wochen nach Südengland, hat er gesagt. Dann wird er sich wohl irgendwo eine neue Stelle als Hilfspfarrer suchen, nehme ich an.«
    »Sie nehmen es an? Wollen Sie damit sagen, dass Mr. Nicholls ohne die Sicherheit einer neuen Anstellung hier fortgegangen ist?«
    »Ja. Aber machen Sie sich um Mr. Nicholls keine Sorgen. Der kommt schon wieder irgendwie auf die Beine. Er hat sehr gute Zeugnisse erhalten; er wird ein Gewinn für jede Gemeinde sein. Und Sie können Ihr Gewissen beruhigen: Trotz all seines Schmerzes hat er niemals irgendjemandem nur mit einem Wort angedeutet, warum er gegangen ist, und er hat nie ein böses Wort über Sie oder Ihren Vater gesprochen.«
    »Wirklich?«, sagte ich, während ich einen Stich im Herzen verspürte.
    »Nein. Tatsächlich ist er, als ich ihn danach gefragt habe, stets dabei geblieben, dass es nie einen Streit zwischen ihmund Mr. Brontë gegeben habe, dass sie in aller Freundschaft auseinandergegangen seien und er uns nur aus eigenem Antrieb verlassen habe – und über Sie, Miss Brontë, hat er sich stets in höchst lobendem Ton geäußert.«
    Nach Mr. Nicholls’ Abschied war ich drei Wochen lang krank und rastlos. Die Anspannung der vergangenen Wochen forderte nun auch von Papa ihren Tribut, und es trat ein, was ich am meisten befürchtet hatte: Er erlitt einen neuerlichen Schlaganfall, der ihn einige Tage lang völlig erblinden ließ. Ich pflegte ihn. Er erholte sich, gewann aber sein Augenlicht nicht ganz wieder und war zunehmend von mir und seinem neuen Hilfspfarrer (Mr. de Renzy, einem Mann, der für diese Aufgabe denkbar schlecht geeignet war) abhängig.
    Dann traf ein Brief von Mr. Nicholls ein.
    »Gerade war Mr. Grant hier«, sagte Martha und reichte mir einen Umschlag. »Er erklärte, dieser Brief hätte sich in einem Schreiben an ihn befunden, und er hätte versprechen müssen, ihn Ihnen heimlich zu überreichen, wenn Ihr Vater nicht zu Hause ist.«
    Ich nahm den Brief und dankte ihr. Sobald sie den Raum verlassen hatte, öffnete ich den Umschlag.
     
    Salisbury, den 21. Juni 1853
    Meine liebe Miss Brontë,
    bitte verzeihen Sie mir, dass ich zu einer List gegriffen habe, um Ihnen dieses Schreiben zukommen zu lassen, aber da ich um die Abneigung Ihres Vaters gegen mich weiß, fürchtete ich, ein unmittelbar an Sie gerichtetes Schreiben könnte sie vielleicht nie erreichen.
    Ich hoffe, dieser Brief ist Ihnen nicht unwillkommen. Drei Wochen lang habe ich mit meinem Gewissen gerungen, ob ich Ihnen schreiben soll oder nicht. Schließlich fand ich den Mut, da ich mir eines ins Gedächtnis rief: den Blick in Ihren Augen, als wir an jenem Abend vor meiner
Abreise am Gartentor des Pfarrhauses standen. Ich nahm darin ein solches Mitfühlen war – zumindest erschien es mir so –, als wollten Sie mir mitteilen, dass Sie verstanden, was ich in den vergangenen Jahren gefühlt und erlitten habe, insbesondere in den letzten Monaten. Bildete ich mir das nur ein? Wenn dem so ist, so werfen Sie diesen Brief fort und denken nicht mehr daran. Wenn nicht – wenn Sie mir auch nur ein geringes Maß an Hoffnung, ein Anzeichen, wie klein auch immer, dafür geben könnten, dass sich Ihre Gefühle gewandelt haben, so würde dies mir mehr bedeuten als alles auf der Welt.
    Meine Entscheidung, Haworth zu verlassen, wurde nur unter größten Seelenqualen und mit außerordentlich niedergeschlagenem Gemüt getroffen. Unter den gegebenen Umständen schien sich mir keine andere Handlungsmöglichkeit anzubieten. Nun jedoch, da ich endlich völlig und unwiderruflich von jedem Kontakt mit Ihnen getrennt bin – ohne auch nur die geringste Chance, Sie von Zeit zu Zeit zu erblicken, wenn Sie vom Haus zur Kirche oder in den Garten gehen oder über die Moore wandern –, merke ich, wie sehr mich dies quält und wie verlassen ich mich fühle, wie mir das Herz von tiefstem Schmerz und glühendem Bedauern entzweigerissen wird.
    Ich bin in den vergangen Wochen durch den Süden Englands gereist – ein herrliches Land, aber ich kann mich nicht daran erfreuen. Ich habe die Kathedralen von Winchester und Salisbury besichtigt – letztere ist besonders herrlich. Aber ich konnte nur an eines denken: wie sehr ich mir wünschte, Miss Brontë wäre hier und könnte all dies mit mir gemeinsam

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