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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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fern.
    Einige Tage nach Weihnachten versuchte Mr. Nicholls, meinem Vater einen Besuch abzustatten, doch der weigerte sich, ihn zu empfangen oder mit ihm zu sprechen. Zu meinem Entsetzen brachte Mr. Nicholls dann ein Schreiben an Papa, in dem er um seine Entlassung bat und andeutete, er hätte vor, sich um einen Posten bei der »Society for the Propagation of the Gospel« 1 zu bewerben und als Missionar in eine der australischen Kolonien zu gehen.
    Australien! Wollte Mr. Nicholls uns wirklich verlassen und nach Australien auswandern?
    »Soll er doch nach Australien gehen, wenn er kann!«, erklärte Papa verächtlich und warf Mr. Nicholls’ Schreiben ins Feuer. »Das ist das Beste für alle Beteiligten.«
    »Du urteilst sehr harsch über Mr. Nicholls«, sagte ich.
    »Wie man sät, so erntet man. Ich kann Mr. Nicholls nie mehr in wichtigen Dingen vertrauen. Die Welt hätte sein Verhalten vielleicht entschuldigt, wenn er ein eingefleischter Schurke oder ein prinzipienloser Offizier wäre, aber da er ein Geistlicher ist, bezichtigt man ihn zu recht der übelsten Absichten und der Widersprüchlichkeit.«
    »Siebeneinhalb Jahre lang hast du ihn stets über alle Maßen gelobt, Papa. In all der Zeit hat er seine Pflichten in der Gemeinde als höchst geschätzter Hilfspfarrer gewissenhaft erfüllt. Und nun ist er über Nacht zum Gegenstand deines übelsten Spotts geworden. Ich verstehe dich nicht. Mir tut er sehr leid.«
    »Das soll er ruhig. Er wandert aus, und wir können froh sein, ihn loszuwerden.«
     
    Von diesem Tag an behandelte mein Vater Mr. Nicholls mit unerbittlicher Härte und unversöhnlicher Verachtung. Sie trafen sich nicht mehr persönlich, sondern verkehrten nur noch brieflich miteinander. Inzwischen hatte die Nachricht von Mr. Nicholls’ Antrag und meiner Ablehnung im Dorf die Runde gemacht. Alle schienen davon auszugehen, dass ich voller Verachtung abgelehnt hätte, stellten sich ohne Zögern auf Papas Seite und bestanden darauf, dass Mr. Nicholls bei seinem Heiratsantrag gegen jeglichen Anstand verstoßen, sich weit überschätzt und nur Unruhe gestiftet hätte. Dass Mr. Nicholls dann auch noch sein Essen verweigerte, trieb seine Vermieterin zur Verzweiflung und zog ihm den Zorn seines Vermieters zu, der meinte, er würde ihn am liebsten erschießen! Papa stimmte ihm aus vollem Herzen zu.
    Die ganze Angelegenheit beschämte und bekümmerte mich sehr, und ich fragte mich, wie um alles auf der Welt die Dinge so hatten ausufern können. Woher kam denn dieser Sturmder Gefühle? Niemand außer mir schien Mitleid mit Mr. Nicholls zu haben. Ich glaubte, dass sie nicht verstanden, welcher Art seine Gefühle waren. Aber ich erkannte nun eines: Er war einer der Menschen, die sich nur an sehr wenige andere binden, deren Empfindungen gut verborgen und tief sind – wie ein unterirdischer Bach, der in einem engen Bett kräftig dahinströmt.
    Eines Morgens kurz vor Neujahr schaute ich zufällig gerade im Pfarrhaus aus dem Fenster, als ich Mr. Nicholls erblickte, der Flossy an seiner Haustür zu dem gemeinsamen täglichen Spaziergang begrüßte. Er sah sehr krank aus und schien von finsterer Hoffnungslosigkeit umgeben zu sein. Ich fühlte von ganzem Herzen mit ihm, nahm meinen Umhang und hastete ins Freie. Ich traf ihn auf dem schneeverkrusteten Pfad, als er gerade auf dem Weg zur Pforte war.
    »Mr. Nicholls.«
    Er blieb stehen und wandte sich um. Sein Blick traf den meinen, und seine Züge verhärteten sich. »Miss Brontë.«
    Es war eiskalt. Ich bibberte und wusste kaum, was ich sagen sollte. Dann platzte ich heraus: »Es tut mir alles so leid, was geschehen ist, und es tut mir leid, dass Sie Ihr Amt hier aufgeben und das Land verlassen wollen.«
    Er schwieg einen Augenblick, und seine Stimme klang rau, als er antwortete: »Tut es Ihnen wirklich leid?«
    »O ja. Das Leben ist voller Trauer und Ungewissheit, Mr. Nicholls, bringt aber auch viele Segnungen. Australien ist Welten entfernt, und die Reise dorthin ist lang und gefährlich. Ich bin überzeugt, dass Sie auch hier in England ein gutes Leben finden können, wenn Sie sich nur erholen.«
    Unbehagliches Schweigen senkte sich herab. Mr. Nicholls sagte leise: »Vielen Dank, Miss Brontë, aber Sie frieren. Sie müssen wieder ins Haus gehen, damit Sie nicht krank werden.Auf Wiedersehen.« Er zog den Hut und verschwand rasch durch das Tor, und Flossy trottete ruhig an seiner Seite, während die beiden über die schneebedeckten Felder liefen. Ich eilte ins Pfarrhaus

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