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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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zum Abendmahl gehen. Papa lag krank zu Hause. Als ich in der für unsere Familie vorbehaltenen Bank saß, wurde mir mit plötzlichem Schmerz klar, dass Mr. Nicholls wahrscheinlich heute zum letzten Mal einen Gottesdienst abhalten würde, zum letzten Mal Mitglied unserer Gemeinde sein würde. Mr. Nicholls schien sich dieser Tatsache auch deutlich bewusst zu sein, denn als er vor der Gemeinde stand und sein Blick kurz den meinen traf, flog Trauer über seine Miene. Er kämpfte dagegen an, zögerte ein wenig und verlor kurz die Fassung. Für einen langen Augenblick stand er kreidebleich und zitternd und sprachlos vor mir und den anderen Teilnehmern am Abendmahl. Joseph Redman, der Gemeindediener, sprach einige leise Worte zu ihm. Mit übermenschlicherAnstrengung versuchte Mr. Nicholls sich zu fassen; mit Tränen in den Augen und unter größten Schwierigkeiten brachte er dann den Gottesdienst zu Ende.
    Oh, welch ungeheures Elend ergriff mich in diesem Augenblick! Nie zuvor hatte ich jemanden gesehen, der so ernst mit seinen Gefühlen rang wie Mr. Nicholls mit den seinen. Ich spürte sofort, wie sich aller Augen auf mich richteten; die versammelte Gemeinde schien sich einig darin zu sein, was seine Trauer zu bedeuten hatte. Rings um mich herum begannen Frauen zu schluchzen. Ich spürte, wie die Meinung der Menschen zu Mr. Nicholls’ Gunsten umschlug, und ich konnte es nicht verhindern, dass auch mir Tränen über die Wangen rannen.
    All die negativen Gefühle, die sich in den vergangenen Monaten gegen Mr. Nicholls aufgebaut hatten, schienen in dieser letzten Woche seiner Anwesenheit dahinzuschmelzen. Die Gemeinde schenkte ihm bei einer zu seinen Ehren abgehaltenen öffentlichen Versammlung eine schöne, mit seinem Namen gravierte Taschenuhr – nur Papa glänzte bei dieser Zusammenkunft durch Abwesenheit. Ich hatte das Gefühl, als würden die Ereignisse meines Lebens durch eine große Flutwelle unaufhaltsam in eine schmerzliche Richtung gespült, auf die ich keinerlei Einfluss nehmen konnte. Mr. Nicholls würde fortgehen. Das war ganz allein meine Schuld, und doch war ich außerstande, ihn zurückzuhalten.
    An Mr. Nicholls’ letztem Abend in Haworth kam er im Pfarrhaus vorbei, um Lebewohl zu sagen und Papa die Grundbuchurkunden der Volksschule zu übergeben. Martha und zwei Helferinnen waren emsig mit dem Frühjahrsputz im Esszimmer beschäftigt, wo ich normalerweise gesessen hätte. Ich wusste also, dass er mich dort nicht finden würde, selbst wenn er gewollt hätte. Ich wartete in der Küche, mochte aber nichtins Studierzimmer gehen, um in Papas Gegenwart mit ihm zu sprechen. Bis zum letzten Augenblick überlegte ich, dass es vielleicht am besten wäre, wenn er mich gar nicht mehr sehen würde. Als ich jedoch hörte, wie die Haustür zufiel, ging ich zum Fenster. Ich sah, dass Mr. Nicholls am Gartentor lehnte und schluchzte, wie ich noch nie einen Menschen hatte schluchzen sehen. Der Anblick drehte mir das Herz im Leibe um. Ein tiefer Seufzer schnürte mir die Kehle zu, und Tränen stiegen mir in die Augen.
    Ich nahm all meinen Mut zusammen und eilte zitternd und elend nach draußen. Ich ging geradewegs zu ihm. Einige Augenblicke standen wir beide stumm und von Schmerz überwältigt da. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte nicht, dass Mr. Nicholls fortging, aber so, wie die Dinge lagen, wäre es nicht recht, ihm falsche Hoffnungen zu machen. Ich konnte ihn auch nicht bitten, doch dazubleiben.
    »Es tut mir so leid«, flüsterte ich schließlich. »Ich werde Sie vermissen.«
    Er schaute mich an. Seine Augen waren zwar von Schmerz gezeichnet, doch übervoll von unverhüllter Zuneigung. »Ich wünschte …«, hob er an, konnte aber nicht weitersprechen.
    Tränen rollten mir über die Wangen. Ich sah in seinem Blick ein inständiges Flehen nach Ermutigung, die ich ihm jedoch damals nicht geben konnte. »Alles Gute«, mehr brachte ich nicht hervor.
    »Ihnen auch«, erwiderte er. Dann trat er rasch durch das Gartentor und ging fort.
     
    Erst am nächsten Morgen wurde mir nach einer traurigen Nacht klar, dass ich Mr. Nicholls gar nicht gefragt hatte, wohin er ging.

NEUNZEHN
    In großer Erregung kleidete ich mich in der Morgendämmerung an und eilte ins Nebenhaus, wo Mr. Nicholls’ Unterkunft war. Der Küster öffnete im Hemd und mit der Nachtmütze auf dem Kopf die Tür und wischte sich noch den Schlaf aus den Augen. »Mr. Nicholls ist vor Sonnenaufgang fortgefahren. Wir werden ihn nie mehr sehen, und das

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