Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
Jahre lang die rechte Hand Ihres Vaters.«
»Papa ist in diesem Punkt völlig unvernünftig. Er will, dass ich einen bedeutenden Mann – einen Mann von Vermögen und Ansehen – heirate oder gar nicht.«
Mrs. Gaskell schüttelte den Kopf. Sie war eine Frau von mittelgroßer Statur, überragte mich um einen halben Kopf. Sie hatte einen blassen Teint und angenehme Gesichtszüge. Ihr weiches braunes Haar trug sie unter einer Haube zurückgesteckt, deren tiefes Violett genau zum Farbton ihres feinen Seidenkleides passte. »Wenn es hauptsächlich um Geld geht, könnte Mr. Nicholls da nicht ein Haus und eine besser bezahlte Anstellung finden, als Pfarrer einer eigenen Gemeinde?«
»Das hätte er bereits vor vielen Jahren machen sollen, Mrs. Gaskell. Wenn er das aber nun täte, müsste er fortziehen, und dann könnten wir überhaupt nicht zusammen sein.«
»Warum nicht?«
Ich seufzte. »Vielleicht finden Sie es falsch oder töricht – Papa hat zwar seine Fehler, aber er ist ein alter Mann und praktisch mein letzter Verwandter auf dieser Welt. Er wird bis zu seinem Tod seine Gemeinde niemals aufgeben. Papa hat mein Wort, dass ich ihn nicht im Stich lasse und nicht zu einer einsamen Existenz verdamme, solange er am Leben ist. Und das werde ich auch niemals tun.«
»Nun, ich muss sagen – dass Sie nach all dem, was Ihr Vater gesagt und getan hat, noch so getreu zu ihm stehen, dafür achte ich Sie sehr, Miss Brontë. Ich weiß nicht, ob ich das fertigbringen würde.«
»Er hat ja auch mein Leben lang getreu zu mir gestanden, Mrs. Gaskell. Dafür schulde ich ihm etwas. Ich muss aber zugeben, dass ich jetzt manchmal so zornig auf Papa bin, dass ich es kaum im selben Zimmer mit ihm aushalte. Er hat Mr. Nicholls sehr grausam und ungerecht behandelt, doch, um der Wahrheit die Ehre zu geben, habe ich selbst ihn nicht viel besser behandelt. Ich habe Mr. Nicholls’ Leiden monatelang mit angeschaut und nichts dagegen unternommen. Ein Wort von mir, und er wäre niemals aus Haworth fortgegangen; und doch ist Mr. Nicholls nach wie vor zielstrebig und unerschütterlich in seiner Zuneigung.«
»Das spricht sehr für ihn. Sagen Sie mir, Miss Brontë: Mögen Sie Mr. Nicholls? Achten Sie ihn?«
»Sehr. Und doch ist er ein Mann voller Widersprüche.« Ich gab meiner Sorge über Mr. Nicholls’ von Puseys Lehren beeinflusste Vorurteile und meiner Furcht Ausdruck, dass dies meiner Verbindung zu ihr und einigen anderen meiner Freunde im Wege stehen könnte (Mrs. Gaskell war Unitarierin und ihr Mann Geistlicher in der Unitarischen Kirche). »Sollten Mann und Frau sich nicht in dieser Beziehung einigsein, im wichtigsten aller Punkte, den grundlegenden religiösen Überzeugungen?«
»Nicht unbedingt. Ich denke, auf einer Grundlage aus Liebe und Achtung kann ein Paar trotz unterschiedlicher religiöser Überzeugungen sehr harmonisch miteinander leben.«
»Das mag sein«, erwiderte ich, war aber immer noch nicht überzeugt. »Doch dies ist nicht meine einzige Sorge. Wir sind auch in anderer Weise sehr verschieden. Mr. Nicholls kümmert sich stets um die Bedürfnisse der Gemeinde – eine herausragende Tugend für einen Kirchenmann und sicherlich höchst achtenswert –, während ich eher zurückgezogen lebe, mich ganz meiner Existenz als Schriftstellerin widme. Und Mr. Nicholls bewundert zwar meine Werke mit aufrichtiger Begeisterung …« Hier unterbrach ich mich errötend.
»Sie meinen, dass er eher eine Laienmeinung ausdrückt, wenn es darum geht, Ihr Schreiben und dergleichen zu kritisieren? Dass Sie fürchten, es könnte Bereiche geben, in die er Ihnen intellektuell nicht folgen kann?«
»Manchmal.«
»Sie müssen sich nicht schämen, mir das einzugestehen, Charlotte«, sagte Mrs. Gaskell und nahm mich beim Arm. »Sie sind eine sehr intelligente Frau, und nicht viele Männer können mit Ihnen Schritt halten. Auf die Gefahr hin, selbstherrlich zu erscheinen, mache ich Ihnen jetzt ein Geständnis: Ich habe manchmal bei meinem lieben Ehemann die gleichen Bedenken, schon seit vielen Jahren.«
»Wirklich?«
»William ist ein sehr hingebungsvoller Geistlicher, genau wie Ihr Mr. Nicholls. Trotz all seiner Erfolge und seiner Intelligenz und all seiner Unterstützung für meine Arbeit – er hat ja eigentlich vorgeschlagen, dass ich schreiben sollte, um mich von dem Schmerz abzulenken, den ich nach dem Tod unsererersten beiden Söhne im Säuglingsalter empfand – kann mein Mann jedoch meine Werke weder ausführlich noch mit sehr viel
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