Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
hoffe um seinetwillen, dass der Stuhl solide gebaut ist.«
Wir lachten leise. Ich bemerkte ein anderes Paar, das auf uns zugegangen kam: einen Mann mit Bart, etwa Anfang vierzig, dessen gut geschnittenes Jackett ihn als einen wohlhabenden Herrn von einiger Bedeutung auswies, und eine hübsche junge Frau mit traurigen Augen, etwa halb so alt wie er (seine Tochter, nahm ich an), die über einem entzückenden Kleid aus rosafarbener Seide einen Samtumhang trug. Sie hatte einen farblich passenden Sonnenschirm und einen wunderbaren Hut, unter dem eine Fülle hellbrauner Locken hervorlugte.
»Wenn sie nicht so elegant gekleidet wäre, würde sie dich nicht – von Gesicht und Figur – an meine Schwester Anne erinnern?«, fragte ich.
»Ja, ein wenig.«
Die junge Frau blickte zu mir hin, lächelte leise und wandte die Augen ab. »Ich wüsste gern, warum sie so traurig aussieht?«, überlegte ich laut. Ehe mein Gatte antworten konnte, erklang die Glocke, die uns zum Mittagessen rief. Arthur hatte bestimmt Hunger, überlegte ich. Schließlich litt er nicht an der Seekrankheit wie ich. »Arthur, mir ist nicht nach Essen zumute, bitte geh du doch allein.«
»Bist du sicher? Ich lasse dich nur ungern hier zurück. Was machst du so lange?«
»Ich werde noch eine Runde über das Deck spazieren. Wenn mir sehr übel wird, gehe ich in unsere Kabine und lege mich hin. Wenn nicht, dann findest du mich an der Reling da drüben.«
»Nun, wenn du meinst, dass es dir nichts ausmacht«, antwortete Arthur, und nachdem er sich überzeugt hatte, dass ich warm genug angezogen war und nicht Gefahr lief, mich zu erkälten, ging er zum Mittagessen.
Ich verbrachte die Zeit, wie ich es ihm erzählt hatte, und lief weiter an Deck umher. Schließlich begab ich mich zu dem Platz an der Reling, wo ich Arthurs Rückkehr erwarten wollte. Ich stand einige Minuten reglos da und genoss die kühle Brise auf meinen Wangen und den Blick auf die glitzernden tiefblauen Wellen, auf deren Kämmen die Seevögel schaukelten, und auf den hellen, wolkenverhangenen Himmel über allem.
»Ist das Irland?«, fragte eine Frauenstimme hinter mir.
Ich schreckte aus meiner Träumerei auf, als die junge, kostspielig gekleidete Frau im rosafarbenen Seidenkleid neben mir an die Reling trat. Ich lächelte über ihre Frage. Da das Reiseziel und die Route des Schiffes bekannt waren, welches andere Land konnte da in der Ferne sonst vor uns liegen? »Ja, es ist Irland. Ist das auch Ihre erste Überfahrt?«
Sie nickte. »Wie ich mir wünsche, das Schiff würde umdrehen und ich könnte nach Hause zurückkehren!«
»Warum reisen Sie denn nach Irland?«
»Um eine Familie zu besuchen, die ich noch nie gesehen habe. Oh! Mir bricht das Herz, während ich noch spreche.« Tränen schossen ihr in die Augen. »Ich bin verliebt, müssen Sie wissen. Mein junger Mann ist der erste Sohn eines Baronets und sehr reich – aber nicht reich genug für meinen Vater. Papa sagt, ich muss einen Herzog oder Grafen heiraten – mit weniger gibt er sich nicht zufrieden –, und um uns voneinanderzu trennen, reist er für sechs Monate mit mir nach Irland, wo er hofft, dass ich ›wieder zur Vernunft komme‹. Sechs Monate! Das ist ein halbes Jahr! Wie Papa glauben kann, dass eine solche Trennung meine Liebe zu Edward schwächen könnte, weiß ich nicht!«
»Vielleicht wird noch alles gut, wenn Sie nur geduldig sind?«
»Was würde mir Geduld schon nützen? Ich sterbe, wenn ich Edward nicht heiraten kann – aber Papa hat mir verboten, ihn je wiederzusehen.«
»Wenn Sie und Ihr Verehrer beweisen, dass Ihre Zuneigung in sechs Monaten noch so unerschütterlich ist wie heute, und wenn Ihr junger Mann die Gelegenheit hat, sich Ihrer würdig zu erweisen, dann ändert Ihr Vater vielleicht seine Meinung.«
»Er wird seine Meinung nicht ändern.«
»Da können Sie nicht sicher sein. Ich habe darin einige Erfahrung. Ich habe mich einmal in einer sehr ähnlichen Lage wie der Ihren befunden.«
»Wirklich?«
»Ja. Mein Vater war sehr gegen meinen Verehrer und hat mir über ein Jahr lang verboten, ihn zu heiraten. Aber mit der Zeit hat er eingesehen, dass er sich geirrt hat – und jetzt sind wir verheiratet.«
»Tatsächlich?« Die junge Dame tupfte sich mit dem Taschentuch die Augen trocken. »Der große Herr, mit dem ich Sie gerade gesehen habe – ist das Ihr Mann?«
»Ja.«
»Er sieht sehr nett aus.«
»Das ist er auch.«
»Ich nehme an, Sie sind schon viele Jahre verheiratet?«
»Weniger als
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