Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
ich neben Arthur ins Bett kroch, entschuldigte ich mich noch einmal für das, was auf dem Schiff geschehen war, und unternahm einen weiteren Versuch, ihm alles zu erklären und meine Gefühle auszudrücken, doch er wandte mir nur den Rücken zu und schlief ein. Ich war so tiefbetrübt, dass ich äußerst unruhig schlief. Ob es an der Aufregung und der Belastung der vergangenen Tage, an der kalten Seeluft auf der Überfahrt oder an meiner Niedergeschlagenheit lag – vielleicht an einer Mischung all dieser Gründe –, jedenfalls war, als ich am nächsten Morgen erwachte, meine Erkältung sehr viel schlimmer geworden, und mein Husten saß tief und schmerzte. Bedrückender war jedoch, dass das Bett neben mir kalt und leer war.
Ich ging nach unten und fand Arthur noch vor dem Frühstück im Salon in ein fröhliches Gespräch mit seinem Bruder vertieft. Ich setzte ein Lächeln auf, denn ich war entschlossen, den Besuch hier nicht von unserem persönlichen Missklang trüben zu lassen. Ich wurde sofort Alans Familie vorgestellt. Seine Frau, eine gutaussehende und sehr freundliche Dame, hieß mich willkommen und bedauerte es, dass sie uns nicht auf unserer Rundfahrt zu den Sehenswürdigkeiten begleiten konnte. Sie hielt es jedoch für das Beste, bei ihren beiden lebhaften Kindern zu Hause zu bleiben. Alle drückten ihre Sorge über meinen Gesundheitszustand aus, doch ich versicherte ihnen, dass dies mich nicht daran hindern würde, die Pläne für den heutigen Tag einzuhalten.
»Ich habe gerade gehört, dass sich uns noch zwei meiner Verwandten anschließen werden«, sagte Arthur.
Kaum hatte er das ausgesprochen, da kam auch schon der erste – Joseph Bell, ein hübscher, dunkelhaariger, dreiundzwanzig Jahre alter Mann – zur Haustür hereingestürmt und präsentierte sich uns mit einem bezaubernden Lächeln undeinem starken irischen Akzent. »Einen wunderschönen guten Morgen alle zusammen! Arthur! Wie geht es dir, mein Alter?«
Die Vettern umarmten sich herzlich. Es bereitete mir ein einzigartiges Vergnügen, zu sehen, wie sehr sich die Männer zugetan waren. »Charlotte«, sagte Arthur, und die beiden wandten sich mir zu. »Darf ich dir meinen Vetter Joseph vorstellen.«
»Willkommen, Cousine Charlotte«, sagte Joseph und verneigte sich mit einem ausladenden Kratzfuß vor mir. »Es ist mir sowohl eine Ehre wie auch ein Vergnügen, Sie kennenzulernen.«
»Ganz meinerseits, Sir«, erwiderte ich, von seinen feinen englischen Manieren beeindruckt.
»Ihr Ruf eilt Ihnen voraus«, fuhr Joseph mit Begeisterung fort. »Ich liebe
Jane Ey re
. Ein wahrhaftig bemerkenswertes Buch.«
»Danke«, erwiderte ich mit leichtem Erröten. »Aber es ist wirklich nur eine schlichte Geschichte.«
»Eine schlichte Geschichte?«, sagte er mit einem Lachen zu Arthur. »Ich sehe, deine Frau ist nicht nur geistreich, sondern auch bescheiden. Da hast du aber einen guten Fang gemacht, lieber Vetter.« Dann wandte er sich wieder mir zu und fuhr
sotto voce
fort: »Und auch
Sie,
Mrs. Nicholls, haben übrigens eine gute Entscheidung getroffen. Sie werden nirgends einen besseren Mann als meinen Vetter Arthur finden – selbst wenn er manchmal ein wenig zu ernst und muffelig ist.«
»Joseph ist der beste Student am Trinity College«, erklärte mir Arthur stolz. »Alan hat mir erzählt, dass er gerade drei Preise für herausragende Leistung erhalten hat.«
»Das sollte euch einiges über die Qualität meiner Mitbewerber sagen«, fügte Joseph mit einem Lachen hinzu.
Nachdem mir Ellen und Papa eingeredet hatten, dass ArthursFamilie wahrscheinlich aus Analphabeten, ungebildeten irischen Barbaren bestand, die unter erbärmlichen Bedingungen lebten, und mir Arthur selbst »einfache Leute vom Land« angekündigt hatte, hätte ich niemals erwartet, einen Studenten vom Trinity College unter ihnen zu finden, viel weniger noch einen so charmanten und hochgeehrten. Ich hatte kaum Zeit, mich an diese erstaunliche neue Person zu gewöhnen, als eine weitere, mindestens ebenso charmante Verwandte am Fuß der Treppe auftauchte. Die Cousine war vierundzwanzig Jahre alt und genauso hübsch und so gut erzogen wie ihr Bruder. Sie war eine wahrhaft keltische Erscheinung und hatte ihr dunkles, lockiges Haar schlicht, aber modisch frisiert.
»Sie müssen Charlotte sein«, rief sie mit einer lieblichen, lebhaften Stimme, als sie vor mir stehen blieb und einen Knicks machte. »Ich bin Mary Anna.« Sie hinkte ein wenig, was, wie ich später erfahren sollte, auf einen
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