Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
und einer dort wartenden Bediensteten meinen Namen nannte und meinen Umhang überreichte, hörte ich, wie drei Mädchen – nach der letzten Mode gekleidet und elegant frisiert – in einem Türbogen miteinander flüsterten – und sofort kehrten all meine Zweifel und Ängste zurück.
»Die sieht verschrumpelt aus wie eine kleine alte Frau«, sagte das erste Mädchen.
»Schau dir nur ihr Haar an, das ist ja ganz kraus!«, wisperte die Nächste.
»Ihr Kleid ist so altmodisch!«, rief eine Dritte, und darauf lachten sie alle.
Mein Gesicht wurde heiß, und ich schlang meine dünnen Arme um den Leib, als könnte ich so mein altes, schäbiges grünes Kleid vor ihren Blicken verbergen. Weit mehr kränkten mich jedoch ihre Bemerkungen über mein Aussehen. Ich war zu jener Zeit noch so klein wie ein Kind und außerordentlich schmal und hatte winzige Hände und Füße. Ich war zu eitel, um eine Brille zu tragen – erst Jahre später zierte ich mich nicht mehr so – und derart kurzsichtig, dass ich die Augen zusammenkneifen musste, um Dinge wahrzunehmen, die man mir nicht unmittelbar vor die Nase hielt. Mein Haar war trocken und zu einer verfilzten Masse kleiner Löckchen verwirrt – was, wie ich damals noch nicht verstand, daher rührte, dass ich es nachts zu fest flocht. Wenn ich heute auf diese Zeit zurückblicke, ist mir klar, dass ich den anderen Mädchen gegenüber im Nachteil war, weil ich aus einem mutterlosen Haushalt stammte, in dem der äußeren Erscheinung wenig oder gar keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Mit vor Scham wild klopfendem Herzen folgte ich der Bediensteten, einer adrett aussehenden jungen Frau von vielleicht achtzehn Jahren mit einem freundlichen Lächeln, diemich eine schöne Eichentreppe hinauf in den von einer Galerie umsäumten ersten Stock führte. Als wir den Raum betraten, den ich mir mit zwei anderen Mädchen teilen sollte, hielt ich vor Begeisterung die Luft an. Er war dreimal so groß wie meine kleine Kammer zu Hause und mit einer Kommode und einem Kleiderschrank aus Mahagoni und zwei großen, bequem aussehenden Betten eingerichtet. Die hohen Fenster, an denen bodenlange Gardinen hingen, blickten auf ein Stück des winterlichen Gartens hinaus. Mit einem hatte Papa recht gehabt, überlegte ich: Dies glich in keiner Weise dem riesigen, trostlosen Schlafsaal in der Schule für Pfarrerstöchter. Ob ich zu den anderen Schülerinnen passen würde, stand auf einem anderen Blatt.
»Es soll noch ein anderes Mädchen kommen, und das soll mit dir das Bett teilen«, sagte die Bedienstete. »Aber wir erwarten es erst nächste Woche. Das andere Bett gehört Miss Amelia Walker, deren Familie mehr bezahlt hat, damit sie ein Bett für sich allein bekommt.«
Ich wusste von Amelia Walker, wenn ich sie auch nie kennengelernt hatte. Sie war die Nichte von Mrs. Atkinson, meiner Patin, die Papa diese Einrichtung überhaupt erst vorgeschlagen hatte. Ich dankte der Bediensteten, lehnte das Angebot ab, etwas zu essen und zu trinken, und sie zog sich zurück. Ich packte meinen Koffer aus, hängte meine Kleidungsstücke in den Schrank und konnte mich dabei eines unangenehmen Gefühls nicht erwehren, als ich meine wenigen schlichten Sachen mit den wunderschönen, farbenfrohen Kleidern und dem prächtigen dunklen Samtumhang verglich, die bereits dort hingen. Mit einem Seufzer zog ich mein bestes Sonntagskleid an – wobei ich sehr wohl wusste, dass ich auch damit auf meine Kritikerinnen keinen besseren Eindruck als vorhin in der Eingangshalle machen würde, und begab michnach unten in das Schulzimmer, denn man hatte mir gesagt, dort sollte ich mich vorstellen.
Das Schulzimmer war ein großer, ganz mit Eiche getäfelter Raum mit einer hohen Decke. Eine Wand wurde von einem Bücherregal eingenommen, und ein Erkerfenster an der gegenüberliegenden Seite bot einen Blick auf den ausgedehnten Rasen vor dem Haus. Mitten im Zimmer stand ein langer, mit scharlachrotem Tuch bedeckter Tisch, an dem vier Lehrerinnen und acht Schülerinnen, ins Lernen vertieft, saßen. Als ich eintrat, wandten sich alle Köpfe zu mir um, und ich stellte fest, dass ich der Gegenstand ihrer eingehenden, stummen Musterung war.
Am oberen Ende des Raumes saß an einem stark verzierten Schreibtisch eine kleine, gedrungene Frau von vielleicht vierzig Jahren, die ein cremefarbenes, besticktes Kleid trug. Ich erkannte sie sofort nach Papas Beschreibung. Sie musste Miss Margaret Wooler, die Eigentümerin und Rektorin dieser Schule, sein.
»Guten
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