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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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und als nichts anderes hoch schätzte.
    Denn Monsieur Héger war verheiratet, und er war auch die ganze Zeit verheiratet gewesen, in der ich ihn in Brüssel gekannt hatte.

VIER
    Seit einiger Zeit hatte ich mich danach gesehnt, mich, wenn auch nur für eine kleine Weile, zur Erholung in einer anderen Umgebung als Haworth aufzuhalten. Meine Schwestern überzeugten mich davon, dass sie nun nach Annes Rückkehr zu zweit wären, um sich um Papa zu kümmern; ich konnte also die schon vor längerer Zeit ausgesprochene Einladung meiner ältesten und liebsten Freundin Ellen Nussey annehmen, sie zu besuchen.
    Ich kannte Ellen seit meinem vierzehnten Lebensjahr. Wir führten getreu unseren Briefwechsel, besuchten einander oft und hatten mehrere angenehme Ferienaufenthalte miteinander verbracht. Im Augenblick lebte Ellen mit ihrer Mutter und den unverheirateten Geschwistern auf einem Anwesen namens Brookroyd in Birstall, etwa zwanzig Meilen von uns entfernt. Nun fuhr ich aber nicht nach Brookroyd, sondern nach Hathersage, in ein kleines Dorf im Peak District von Derbyshire in der Nähe von Sheffield, in einen Ort, den ich noch nie gesehen hatte. Ellen hatte sich nämlich in den vergangenen Monaten in Hathersage aufgehalten und dort die Umbauten des Pfarrhauses beaufsichtigt, um ihrem Bruder Henry, einem jungen Geistlichen, der sich kürzlich verlobt hatte, einen Gefallen zu tun.
    Am zweiten Juli verschnürte ich meinen großen Koffer und schickte ihn mit dem Fuhrwerk zum Bahnhof. Früh am nächsten Morgen gingen meine Schwestern mit mir nach Keighley, um mich zu verabschieden. Ich brach zum ersten Teil meiner Reise, der Bahnfahrt nach Leeds, auf. Aufgeregt stieg ich in den Zug, wo ich das Glück hatte, einen Fensterplatz zuergattern. Da mein Zuhause so abgelegen war und mir dort jedes Feld, jeder Berg und jedes Tal vertraut waren, machte es mir stets großes Vergnügen, auf meinen Reisen auf die vielen so unterschiedlichen Szenen hinauszuschauen, an denen ich vorüberfuhr, mir vorzustellen, wer vielleicht in diesem idyllischen Bauernhaus leben mochte oder was für faszinierende Landschaften wohl hinter diesem blassen, fernen Berg lagen.
    Auf dieser Reise jedoch schaute ich, kaum dass ich mich entspannt auf meinem Platz zurückgelehnt hatte und von der Bewegung des Zuges eingelullt wurde, nicht auf die Aussicht vor mir, sondern stellte fest, dass ich auf mein Spiegelbild im Fenster starrte, das mir vor dem schattenhaften Hintergrund des trüben Tages von dort zurückgeworfen wurde. Ich sah vor mir einen zu breiten Mund, eine zu große Nase, eine zu hohe Stirn, alles mit einem zu roten Teint; der einzige Lichtblick, wenn es denn einer war, mochten meine weichen braunen Augen sein. Während ich so starrte, kam mir die beißende Bemerkung von Mr. Nicholls wieder in den Sinn: »Die Worte, meine Herren, einer hässlichen alten Jungfer.«
    Dieser Satz verfolgte mich. Ich war schon einmal vor langer Zeit hässlich genannt worden; es war an genau dem Tag gewesen, an dem ich Ellen Nussey kennengelernt hatte – die Freundin, die ich nun besuchen fuhr. Jetzt konnte ich über den Zwischenfall lachen, aber damals war mir nicht zum Lachen zumute gewesen. Als ich mich auf meinem Platz zurücklehnte, wanderten meine Gedanken etwa vierzehn Jahre in jene andere Zeit und an jenen anderen Ort zurück; damals war ich ein einsamer Neuankömmling im Internat von Roe Head gewesen – einer Einrichtung, die mein Leben auf unerwartete Weise für immer verändern sollte.
     
    Es war ein rauer, trüber Tag Anfang Januar 1831, als ich erfuhr, dass man mich auf die Roe Head School schicken wollte. Ich war ganz entschieden dagegen, dass ich auf eine Schule gehen sollte – und das war nur allzu verständlich. Jahrelang hatte ich mich selbst um meinen Unterricht gekümmert und in meinem eigenen Tempo zu Hause gelernt; die Aussicht, meine köstliche Freiheit aufzugeben und von meiner geliebten Familie getrennt zu werden, erfüllte mich mit tiefer Trauer. Weitaus trauriger jedoch waren die qualvollen Erinnerungen an die letzte Schule, die ich besucht hatte, als ich acht Jahre alt war – an die Schule für Pfarrerstöchter in Cowan Bridge – einen wahren Ort des Schreckens. Mein Aufenthalt dort hatte mit einer Tragödie von solchen Ausmaßen geendet, dass sie meine Familie bis heute verstörte. Mein Vater, der sich diese Katastrophe wohl nie verziehen hat, behauptete unerschütterlich, die zweite Schule würde völlig anders sein.
    »Die Roe Head School ist

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