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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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Pryce, der kurz bei uns zu Besuch war. Er kam eines Nachmittags zum Tee zu uns, verbrachte vielleicht zwei Stunden in meiner Gesellschaft und schrieb mir am nächsten Tag, um mir einen Antrag zu machen. Ich habe ja schon von Liebe auf den ersten Blick gehört, aber das hat wirklich alles übertroffen! Da seit dem Antrag deines Bruder erst fünf Monate vergangen waren, hat mir dieser Brief sehr viel Spott von Seiten meiner Geschwister eingebracht.«
    Wir lachten und gingen dann schweigend weiter und erfreuten uns an dem atemberaubenden Anblick der Landschaft von Derbyshire. Die Insekten summten, die Schafe blökten,die Vögel zwitscherten, Wildblumen blühten in üppiger Pracht, und rings um uns war alles voller Duft, grün und üppig und ins goldene Licht der am rosigen und bernsteinfarbenen Himmel untergehenden Sommersonne getaucht.
    Als ich wieder zu Ellen schaute, wirkte sie zu meiner Überraschung niedergeschlagen. »Stimmt etwas nicht, Nell?«
    »Nein. Ja.« Ellen seufzte. »Ich musste an Mr. Vincent denken.«
    »Oh.« Mr. Vincent war der junge Mann, der einmal Ellen von ganzem Herzen geliebt hatte und dessen Heiratsantrag
sie
abgelehnt hatte. »Du bereust doch nicht etwa deine Entscheidung, oder?«
    »Manchmal schon. Meine Familie hielt ihn damals für sehr passend.«
    »Das haben mir alle unzählige Male zu verstehen gegeben. Mr. Vincent war Geistlicher und der älteste Sohn eines anerkannten, wohlhabenden Chirurgen, und so sah es ganz so aus, als wäre er der ideale Gefährte für dich.«
    »In der Theorie vielleicht, aber er hat unendlich lange gebraucht, um mir schließlich einen Antrag zu machen. O Charlotte, wenn du ihn nur hättest sehen können! Er war so exzentrisch und so schüchtern und unbeholfen. In meiner Gegenwart brachte er kaum ein paar zusammenhängende Worte heraus. Als ich mir vorzustellen versuchte, den Rest meines Lebens mit ihm zu verbringen – und mit ihm gar das Bett zu teilen –, da wurde mir angst und bange und regelrecht übel.«
    »Nun, dann hast du doch die richtige Entscheidung getroffen«, sagte ich. »Wenn ich je heirate, dann muss ich meinen Ehemann leidenschaftlich lieben. Ich muss zu ihm aufsehen können und muss seinen Charakter und seinen Verstand bewundern können. Er sollte die Seele eines Dichters haben und die Weisheit eines Richters an den Tag legen. Und er mussfreundlich und zuvorkommend sein und von allen, die ihn kennen, hoch geschätzt werden. Er sollte ein Mann sein, der die Frauen bewundert und als seinesgleichen anerkennt. Und er muss älter sein als ich.«
    »Wie alt? Wünschst du dir etwa einen grauhaarigen oder kahlköpfigen Bräutigam?«
    »Nein, vielen Dank! Aber er muss mindestens fünfunddreißig sein und die Vernunft eines Mannes von fünfzig Lenzen haben.«
    »Der Herr, den du gerade beschrieben hast, dürfte nicht leicht zu finden sein. Hast du ihn dir ausgedacht, oder gibt es ein Vorbild im wirklichen Leben?«
    Ich spürte, wie mir die Röte in die Wangen stieg. Ich hatte, wie ich nun bemerkte, unwillkürlich meinen belgischen Professor beschrieben – einen Mann, von dem Ellen nur sehr wenig wusste und über dessen Beziehung zu mir ich nie mit jemandem gesprochen hatte. »Er ist natürlich vollständig meiner Phantasie entsprungen«, versicherte ich ihr rasch.
    »Vielleicht haben wir beide Glück und finden in unserem Bekanntenkreis einen Pfarrer oder Hilfspfarrer, auf den diese Beschreibung passt.«
    »Oh, ich bin überzeugt, dass ich niemals die Frau eines Pfarrers werden könnte. Mein Herz ist zu leidenschaftlich, meine Gedanken sind zu ungestüm, romantisch und unstet, als dass ich je einen Geistlichen heiraten könnte.«
    »Die meisten heiratsfähigen Männer, die uns begegnen, sind aber Geistliche. Wen sonst willst du heiraten, Charlotte, wenn nicht einen von ihnen?«
    »Womöglich niemanden. Ehrlich gesagt, in unserem Alter halte ich es für höchst unwahrscheinlich, dass ein solcher Ausbund männlicher Vollkommenheit noch auftaucht und um unsere Hand anhält. Selbst wenn es einen gäbe, selbst wenner käme, dann würde ich ihn wohl nicht haben wollen. Wir werden einfach zusammen alte Jungfern werden, Nell – und glücklich und zufrieden allein leben.«
    »Aber wenn du nicht heiratest, was machst du dann? Wenn ich ledig bleibe, habe ich meine Brüder, die mich unterstützen können; wohingegen …« Ellen brach ab.
    »Wohingegen mein Bruder zu nichts nutze ist«, vervollständigte ich ihren Satz. »Du brauchst keine Angst zu haben, das zu

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