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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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Unterfangen ganz sachlich offenbart hatte, als sei es das Normalste von der Welt. »Ihr seid beide mit Romanen beschäftigt?«
    »Es hat damit angefangen, dass ich einige von meinen Gondal-Geschichten umgeschrieben habe«, erklärte Emily. »Aber jetzt scheint daraus ein Roman geworden zu sein.«
    »Wie weit bist du denn?«, erkundigte ich mich.
    »Schwer zu sagen. Vielleicht zwei Drittel sind fertig. Ich habe bisher zwanzig Kapitel geschrieben.«
    »Zwanzig Kapitel!«, rief ich verdattert. »Emily, das ist ja wunderbar. Und was ist mit dir, Anne?«
    »Ich habe eine erste Fassung fertig«, gab Anne zu, »aber ich bin noch gar nicht damit zufrieden. Ich habe vor, das Manuskript vollständig zu überarbeiten.«
    Ich prustete laut los. Meine beiden Schwestern, von denen ich bisher angenommen hatte, ihre literarischen Ambitionen seien nur auf die Lyrik beschränkt, hatten mich so weit hinter sich gelassen, dass es mich beschämte. Gleichzeitig elektrisierte mich dieser Gedanke und erfüllte mich mit ungetrübter Wonne! Es war, als hätte jemand mir den Fehdehandschuh hingeworfen, mir eine Herausforderung vor die Füße geschleudert, der ich nicht widerstehen konnte.
    Wir blieben auf dem Kamm des Hügels stehen, schauten auf die endlose Heidelandschaft und zu den Bergen dahinter, die in trüben Nebel gehüllt zu sein schienen. Plötzlicherschallte lautes Donnergrollen, gefolgt von einem hellen Blitz. Das war genau das richtige Omen, überlegte ich, ein Symbol für die ungewisse Zukunft, die vor uns lag. Denn in jenem Augenblick schien es, als stünden wir an der Schwelle zu einem Abenteuer, das so wild, so stürmisch und so unberechenbar sein würde wie das drohende Unwetter.
    »Vielleicht können wir alle drei Schriftstellerinnen werden, und unsere Werke erscheinen gleichzeitig«, sagte ich voller Erregung und Entschlossenheit. »Aber ich ahne, dass noch sehr viel Arbeit vor mir liegt, ehe ich euch beide eingeholt habe.«
     
    Jetzt, da die Wahrheit ans Licht gekommen war, mussten meine Schwestern und ich nicht mehr heimlich schreiben, zumindest mussten wird unsere Bemühungen nicht mehr voreinander verbergen. Wir machten so weiter, wie wir bei der Zusammenstellung unseres Gedichtbandes begonnen hatten. Wir erledigten in Windeseile unsere Aufgaben im Haushalt und schränkten unsere täglichen Spaziergänge außerordentlich ein. Wenn sich am Morgen oder am Nachmittag ein, zwei ruhige Stunden fanden, schlossen wir uns im Esszimmer oder in unseren Schlafzimmern ein und verwendeten unsere gesamte Energie darauf, mit Feuereifer an unseren jeweiligen Geschichten zu schreiben. Jeden Abend kamen wir gleich nach dem Nachtgebet, wenn alle anderen schliefen, wieder im Esszimmer zusammen und arbeiteten dort bis Mitternacht weiter.
    Wir konnten uns nicht vorstellen, dass im Haushalt diese Beschäftigung übermäßig viel Aufsehen erregen würde. Tabby und Martha hielten uns ohnehin für ziemlich exzentrisch; und Papa und Branwell dachten sich nichts dabei, da wir schon seit unserer Kinderzeit immer wieder einmal Geschichten zu Papier gebracht hatten. Emily und Anne hatten bereits großeFortschritte bei den ersten Fassungen ihrer Bücher gemacht, die sie mit Bleistift schrieben. Da hatte ich noch viel mehr vor mir. Aber wir hatten uns alle drei entschlossen, unsere Werke von Anfang an neu zu gestalten, damit wir uns alle gleichermaßen mit dem vertraut machen konnten, woran die anderen gerade saßen.
    Ein oder zwei Mal in der Woche, wenn wir in unseren Geschichten bestimmte Punkte erreicht hatten, legten wir eine Pause ein und lasen einander Teile laut vor. Das war für uns alle von höchstem Interesse und bewegte uns sehr. Darauf folgte stets eine Diskussion oder vielmehr ein Streitgespräch. Wir teilten unsere Gedanken miteinander, wir kritisierten und lobten unsere Werke, legten dabei großen Wert auf Offenheit und Gerechtigkeit. Wir waren schonungslos in unserer Kritik, und oft brachen erhitzte Debatten über Stil und Inhalt aus. Des vielen Sitzens müde, führten wir diesen Schlagabtausch oft im Gehen, während wir im Gänsemarsch um den Esstisch herumliefen – eine Angewohnheit, die ich mir in meinen Tagen an der Roe Head School zugelegt hatte, wo uns Miss Wooler bei ähnlichen Spaziergängen im Zimmer anführte, von denen sie behauptete, sie »förderten den Kreislauf und erhöhten das Denkvermögen«.
    »Deinen Mr. Weston bete ich geradezu an«, sagte ich eines Abends zu Anne, nachdem sie aus ihrem ruhigen, aufrichtigen

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