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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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gezogenen Augenbrauen. »Oder kann seine alles verzehrende Leidenschaft für Catherine ihm nicht Erlösung bringen?«
    »Seine Leidenschaft kann doch nicht entschuldigen, dass er sich systematisch an Hindley Earnshaw und den Lintons rächt«, beharrte ich. »Noch kann sie etwas daran abmildern, wie grausam er Isabella Linton und Hareton erniedrigt und wie brutal er sie behandelt. Er ist hassenswert.«
    »Mir macht es nichts aus, dass er hassenswert ist«, sagte Anne. »Jede Geschichte braucht einen Schurken.«
    »Aber
ist
er der Schurke?«, erwiderte Emily. »Oder ist er nicht eher so wie Byrons Manfred oder wie Mary Shelleys Castruccio oder Miltons Satan? Ein gespenstischer Held, eine Gestalt, die das Prinzip des Bösen verkörpert?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Er ist ein Ghul, ein Dämon, ein Afrit. Ich bin mir nicht sicher, ob es recht oder ratsam ist, Wesen wie Heathcliff zu erschaffen.«
    »Ich höre in jedem gequälten Wutausbruch Heathcliffs stets nur Branwells Stimme«, sagte Anne.
    »Ja!«, rief ich. »Wie er immer und immer wieder von seiner teuren Cathy schwärmt – O Wonne meines Herzens! Ich kannnicht ohne meine Seele leben! – und wie er ihr bis ins Grab folgen will, das ist durch und durch Branwell. Aber Branwell hat uns doch auch alle tief ins Unglück gestürzt, Emily. Wer wird so etwas lesen wollen? Warum hast du dich entschieden, ein Buch zu schreiben, das so erbarmungslos finster ist?«
    »Es ist die Geschichte, die ich erzählen wollte«, antwortete Emily schlicht.
    »Die Kapitel, die du uns letzte Woche vorgelesen hast, waren so gewalttätig und schrecklich, dass ich in der Nacht danach kein Auge zugetan habe«, fügte ich mit einem Schaudern hinzu. »Die Bilder, die sie in mir heraufbeschworen, haben den gesamten nächsten Tag über meinen Seelenfrieden gestört.«
    »Das ist ja lächerlich«, spottete Emily. »Ich glaube dir kein Wort.«
    »Kannst du nicht wenigstens einigen deiner Figuren wenige kurze Augenblicke des Glücks schenken?«, fragte Anne.
    »Das habe ich vor«, behauptete Emily. »Ihr müsst einfach nur bis zum Schluss warten.«
     
    Emily äußerte ihre Meinung über meinen Roman so offen, wie ich mich über ihren geäußert hatte. Der Titel missfiel ihr (»
Der Herr und Meister
klingt wie eine Geschichte über einen Landbesitzer und seinen Diener.«) Ich änderte den Titel daher in
Der Professor
um. Nun behauptete sie, der Anfang meiner Geschichte sei zu langatmig, insgesamt fehle ihr die Spannung, und insbesondere mein männlicher Held sei nicht vielschichtig genug. Ich war natürlich völlig anderer Meinung. Mir gefielen meine Geschichte und meine Figuren so, wie sie waren. Seither habe ich mich eines Besseren besonnen; damals jedoch entging mir das alles. Ich fand es einfach viel zu aufregend, wieder zu schreiben und täglich in einem freien,lebhaften Dialog mit zwei anderen quicklebendigen, interessierten, intelligenten verwandten Seelen zu stehen, mit denen ich über die innersten Gedanken meines Herzens sprechen konnte.
    Jeden neuen Tag begrüßte ich voller erregter Vorfreude, begierig darauf, endlich meinen Bleistift zur Hand zu nehmen und mich an die Arbeit zu machen, zu entdecken, was meine Figuren als Nächstes sagen und tun würden. Ich war glücklich; ich fühlte mich lebendig; es war, als hätte ich ein halbes Jahrzehnt geschlafen und wäre gerade eben erst erwacht, als hätte ich jahrelang am Rande des Hungertodes dahinvegetiert und hätte mich endlich zu einem Festmahl niedergelassen.
    Während wir schrieben, zog Weihnachten ins Land. 1846 dämmerte am Horizont. Das Land lag unter Schneemassen begraben. Ende Januar war immer noch keine einzige Antwort auf meine Briefe mit den Anfragen wegen unseres Gedichtbandes eingetroffen. Allerdings erhielt ich wertvolle Ratschläge von William und Robert Chambers, den Herausgebern einer meiner Lieblingszeitschriften, des
Chambers’s Edinburgh Journal
. Sie erklärten mir, ein Buch mit Gedichten von einem oder mehreren unbekannten Autoren würde höchstwahrscheinlich keine breitere Leserschaft finden, und daher würde es wohl kaum einen Verlag geben, der eine solche Unternehmung wagte – es sei denn die besagten Autoren wären bereit, selbst für die Kosten der Veröffentlichung aufzukommen.
    Zunächst waren meine Schwestern und ich verzweifelt. Doch nach einigem Überlegen fassten wir uns wieder. »Wir könnten einen kleinen Teil unseres Erbes von Tante Branwell für diesen Zweck einsetzen«, schlug ich vor, »wenn es

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