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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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Bericht einer Gouvernante vorgelesen hatte, dem sie auf meinen Vorschlag inzwischen den neuen Titel
Agnes Grey
gegeben hatte. »Er ist ein so vernünftiger, offener Mann, so zugänglich und so gut zu den Armen, ein wirklich engagierter Hilfspfarrer – völlig anders als die jungen Männer, die wir in dieser Eigenschaft hier kennengelernt haben.«
    »Ich finde, er ist William Weightman sehr ähnlich«, bemerkte Emily, womit sie unseren vielgeliebten Hilfspfarrerverteidigte, der vor einigen Jahren auf tragische Weise und noch sehr jung an Cholera gestorben war.
    »Ich habe wirklich an Mr. Weightman gedacht, als ich mit dem Schreiben angefangen habe«, gestand Anne, während wir nach wie vor um den Esstisch wanderten, »aber inzwischen erinnert mich die Figur eher an Mr. Nicholls.«
    »An Mr. Nicholls?«, fragte ich. »Das ist doch absurd. Mr. Nicholls hat keine der bewundernswerten Eigenschaften, die deinen Mr. Weston auszeichnen.«
    »O doch«, beharrte Anne.
    »Martha sagt, dass ihre Mutter sehr von Mr. Nicholls angetan ist«, meinte Emily. »Er ist ein guter und fürsorglicher Mietsmann und hat ihr sehr viel im Haus geholfen, als Mr. Brown krank war.«
    »Alle im Dorf mögen Mr. Nicholls«, fügte Anne hinzu.
    »Alle im Dorf außer den Malones«, erwiderte ich. »Und wenn die nicht so diskret wären und wenn sie die
Geschichte
dieses feinen Herren weitererzählt hätten, würden alle im Dorf wahrscheinlich ganz anders über ihn denken.«
    »Ich glaube immer noch, dass sich hinter Miss Malones Geschichte einiges verbirgt, das wir bisher nicht erfahren haben«, behauptete Anne.
    »Und ich habe schon mehr als genug über Mr. Nicholls erfahren!«, rief ich verzweifelt. »Eigentlich wollten wir doch über unsere Bücher sprechen!«
    »Ich meine nur, Anne«, sagte Emily und brachte uns wieder zum eigentlichen Thema zurück, »dass Mr. Weston zwar für meinen Geschmack ein wenig zu lieb und brav ist, dass ich aber deine anderen Figuren alle sehr mag. Agnes’ Schülerinnen und ihre Dienstherren sind so wunderbar nur mit sich selbst beschäftigt, und sie haben so interessante Anflüge von Grausamkeit.«
    »Genau das sind die Dinge, die mir nicht gefallen«, sagte ich. »Ich glaube, die Leser könnten von der Szene verschreckt werden, in der der kleine Junge die Vögel quält und tötet. Mich hat das ziemlich verstört. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Sechsjähriger so etwas tun würde.«
    »Aber er hat es getan«, beharrte Anne. »Cuncliffe Ingham, der unter meiner Obhut stand, hat genau diese grausamen Dinge getan. Jeden Vorfall, den ich beschrieben habe, habe ich selbst erlebt, außer«, fügte sie errötend hinzu, »außer dem Ende, das ihr noch nicht gehört habt.«
    Am nächsten Abend sprachen wir über Emilys komplexen Roman, der in der Moorlandschaft von Yorkshire angesiedelt war. Sie nannte ihn
Sturmhöhe
und nahm damit auf den Namen des Hauses Bezug, das in der Geschichte eine wichtige Rolle spielt. Der Name war von den Unbilden des Wetters abgeleitet, denen das Haus an seinem exponierten Standort ausgesetzt war.
    »Ich war mir erst nicht sicher, ob mir der Aufbau deines Romans gefällt«, sagte ich, nachdem Emily gerade ein besonders finsteres, aber faszinierendes Kapitel zu Ende gelesen hatte. »Wie du in der Zeit hin und her springst, verschiedene Erzähler einsetzt, von denen keiner sonderlich verlässlich ist – doch inzwischen finde ich es einfach großartig.«
    »Ich sehe es genauso«, stimmte mir Anne zu. »Jedes Mal, wenn du den Blickwinkel wechselst, bekommen wir eine völlig neue Perspektive. Ich glaube, ich werde das in meinem nächsten Buch auch versuchen.«
    »Hast du beim Schreiben an
Rob Roy
gedacht, Emily?«, fragte ich. »Dein Buch erinnert mich in gewisser Weise an Scotts Themen und Figuren.«
    »Vielleicht ein bisschen«, antwortete Emily grübelnd. »
Rob Roy
war immer eines meiner Lieblingsbücher.«
    »Cathy ähnelt in vielem Diana Vernon«, ergänzte Anne. »Beide sind sie Außenseiterinnen in sehr ungebildeten Familien.«
    »Und Heathcliff mit seiner teuflischen Entschlossenheit, die Earnshaws und Lintons zu zerstören, indem er sich ihr Erbe aneignet, erinnert mich an Scotts Rashleigh Osbaldistone«, meinte ich. »Aber Emily, deine Geschichte ist so viel wilder und düsterer. Ich verachte Heathcliff aus ganzer Seele. Er ist so ungestüm, gequält und erbarmungslos. In meinen Augen ist er rettungslos verloren.«
    »Ist er das wirklich?«, erwiderte Emily mit fragend in die Höhe

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