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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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viel mitbekam. Ich stellte mit einigem Erschrecken fest, dass meine Französischkenntnisse, die ich bisher zumindest für annehmbar gehalten hatte, in Wirklichkeit überaus gering waren. Eine Fremdsprache in einem englischen Schulzimmer zu sprechen, das hatte nur sehr wenig mit der Konversation mit Ausländern in ihrer Muttersprache zu tun.
    Die Jenkins’ dienten uns als Dolmetscher und ließen uns wissen, dass man uns erst die Gelegenheit schenken wollte, uns ein wenig einzugewöhnen, und dass wir am Abend Monsieur Héger kennenlernen sollten – er unterrichtete im Augenblick am Athénée Royal, der besten Knabenschule in Brüssel, die sich gleich nebenan befand. Zum Glück sollten wir erst ab dem nächsten Tag am Unterricht teilnehmen.
    Das Hauptgebäude bestand aus zwei Hälften, die sich deutlich unterschieden: der Privatwohnung der Hégers auf der linken Seite und dem Schulgebäude auf der rechten. Man nahm uns auf einen kurzen Rundgang durch die Schule mit und erlaubte uns, einen Blick in zwei große, sehr angenehm wirkende Schulzimmer zu werfen, die voller junger Damen waren,die ihre
devoirs
4 erledigten, sowie in das lange
réfectoire
5 , wo wir, wie Madame Héger erklärte, speisen würden und uns auch auf unsere Unterrichtsstunden am Abend vorbereiten sollten.
    »Nun«, sagte Papa mit erfreuter Miene, nachdem wir den Rundgang beendet hatten, »ich bin sehr zufrieden mit all dem hier. Ich glaube, ihr werdet bestens zurechtkommen, Mädchen.«
    Wir dankten den Jenkins’ für ihre Führung und Hilfe, umarmten Papa zum Abschied und schauten mit Tränen in den Augen der fortfahrenden Kutsche hinterher, da wir wussten, dass wir Papa mindestens ein halbes Jahr nicht mehr sehen würden, und uns um seine Gesundheit und Sicherheit auf der Reise sorgten. Wir waren erleichtert, als wir endlich einen Brief erhielten, den er eine Woche später aufgegeben hatte und in dem er uns mitteilte, wie sehr er es genossen hatte, sich die Sehenswürdigkeiten von Brüssel, Lille und Dünkirchen anzuschauen, ehe er mit dem Dampfschiff von Calais aus nach Hause gefahren war.
    Kaum waren unsere Begleiter fort, als wir im Hof eine Glocke scheppern hörten. Gleichzeitig schlug irgendwo eine Uhr die Mittagsstunde. Plötzlich füllte sich der Flur mit Schülerinnen – insgesamt beinahe hundert –, die in wildem Tumult aus den Schulzimmern gerannt kamen. Die Mädchen im Alter zwischen zwölf und achtzehn Jahren waren gut angezogen und schwatzten fröhlich; mehr als die Hälfte von ihnen nahmen sich ihre Umhänge und Hauben und Schultaschen und strömten hinaus in den Garten hinter dem Haus. Das, überlegte ich, mussten die Tagesschülerinnen sein, die ihre Verpflegungselbst mitbrachten. Zwei
maîtresses
6 erschienen und versuchten vergebens, mit ihren schrillen Stimmen bei den verbleibenden Internatsschülerinnen eine gewisse Ordnung herzustellen, doch all ihre Ermahnungen und Befehle zeigten keine Wirkung. Disziplin schien hier ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, obwohl diese Schule als eine der bestgeführten Schulen Brüssels galt.
    Ich musste nicht lange warten, bis ich die Quelle dieses wohlverdienten Rufes entdeckte.
    Madame Héger, die im Schatten der Tür zu ihrem Salon stand, kam mit festen Schritten in die Halle und sprach ruhig und gelassen ein einziges Wort: »
Silence
!« 7
    Unverzüglich trat Stille ein. Ordnung stellte sich her. Die jungen Damen strömten nun in größeren Gruppen in die
salle-à-manger
8 . Madame Héger schaute ihnen dabei mit selbstzufriedener , aber auch kritischer Miene zu, so wie ein General der Bewegung seiner Truppen zuschauen mochte. Es war deutlich zu erkennen, dass Schülerinnen und Lehrerinnen sie gleichermaßen mit Hochachtung, wenn nicht gar Zuneigung betrachteten.
    Madame Héger wechselte einige rasche Worte mit einer der Lehrerinnen (einer vertrocknet wirkenden Frau mittleren Alters, die wir als Mademoiselle Blanche kennenlernen sollten) und verabschiedete sich dann. Mademoiselle Blanche führte Emily und mich zum Essen. Es war ein köstliches Mahl, bei dem es Fleisch unbekannter Art gab, das in einer merkwürdigen, aber schmackhaften Soße gereicht wurde, dazu Kartoffelstücke, die mit etwas delikat gewürzt waren, das ichnicht kannte, außerdem eine
tartine
– ein Butterbrot – und eine gedünstete Birne. Die anderen Mädchen schwatzten munter drauflos und nahmen keine Notiz von uns.
    Sobald die Schülerinnen in die Schulzimmer zurückgekehrt waren, wurden Emily und ich nach oben in

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