Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
hinzu.
Er zuckte zusammen. Ich bemerkte, dass unsere mit dem Akzent von North Yorkshire vorgebrachten Bemühungen, französische Worte auszusprechen, in seinen Augen grauenhaft klangen. »Pah!«, rief er, sprang mit einer angewiderten Grimasse von seinem Sessel auf und eilte zu seiner Frau hinüber. »Diesen jungen Frauen ist unsere Sprache völlig unbekannt! Sie werden in Klassen mit der allgemeinen Schülerschaft völlig untergehen. Wenn sie überhaupt eine Chance bekommen sollen, dann werde ich ihnen persönlich Privatunterricht erteilen müssen.« Mit einem gewaltigen Schütteln seines dunklen Kopfes riss er die Tür auf und raste aus dem Zimmer.
Als Emily und ich uns in jener Nacht in unserer privaten Ecke darauf vorbereiteten, zu Bett zu gehen, überlegten wir laut, worauf wir uns da nur eingelassen hatten. Tatsächlich fühlten wir uns in den ersten Wochen unserer Unterweisung meistsehr verloren. Es gab drei im Hause wohnende Lehrerinnen und einige Lehrer von außerhalb, die die verschiedenen Fächer unterrichteten: Französisch, Zeichnen, Musik, Singen, Schreiben, Arithmetik und Deutsch, dazu noch Bibelstunden und »alle Nadelarbeiten, die eine gut erzogene junge Dame beherrschen sollte«. Wir waren, wie wir es befürchtet hatten, gezwungen, jeden Tag von morgens bis abends Französisch zu sprechen, zu lesen und zu schreiben. Alle Fächer (natürlich außer Deutsch) wurden ausschließlich in dieser Sprache unterrichtet, und wir erwarteten kein Entgegenkommen und bekamen auch keines. Obwohl ich mich sehr darauf gefreut hatte, weil ich meine Sprachfertigkeit zu verbessern hoffte (und es gibt ja wahrhaftig keine bessere Methode dazu als dieses Eintauchen in die Fremdsprache), war es doch weitaus mühsamer, als ich angenommen hatte, den Unterrichtsstunden in den allgemeinen Fächern in dieser Sprache zu folgen. Wie ich mir wünschte, ich hätte mich vor der Reise nach Belgien gründlicher vorbereitet!
Wir widmeten uns jedoch eifrig unseren Studien und wurden schon bald besser, größtenteils dank Monsieur Héger, dieser Verkörperung von Ruhe und Sturm in einer Person, der uns wöchentlich privat Französischunterricht gab, zu dem er zwischen seinen Stunden im Athénée nebenan noch Zeit fand. Emily und ich saßen oft in gespannter Erwartung in seiner Bibliothek und harrten der Geräusche seiner näher kommenden Schritte, die uns verraten würden, wie er gelaunt war.
Wenn sie leicht und gleichmäßig klangen, dann hieß das, dass er blendender Laune sein würde, unsere Fortschritte mit Humor loben und viel zu bewundern finden würde. Wenn wir jedoch donnerndes Fußstampfen vom Flur hörten, schauderte uns, denn es bedeutete, dass er einen schweren Tag gehabt hatte. Emily und ich würden dann als Prügelknaben für seineschlechte Laune herhalten müssen und unsere Unterrichtsstunde würde überaus anstrengend und gnadenlos werden. Dann schimpfte er darüber, wie wir unsere Zungen benutzten, wenn wir Französisch sprachen, und beschuldigte uns, wir zermalmten die Wörter zwischen den Zähnen, als fürchteten wir, überhaupt den Mund aufzumachen. Oft brachte er mich zum Weinen; Emily weinte niemals. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, dass er sich, sobald Tränen flossen, sofort entschuldigte und dann einen sanfteren Ton anschlug.
Emily und ich passten nicht ganz in das Pensionat Héger. Wir waren viel älter als unsere Klassenkameradinnen, und alle im Haus waren französischsprachige Katholiken, außer uns und einer anderen Schülerin und der Gouvernante von Madames Kindern, einer Engländerin, die gleichzeitig als Zofe und als Kindermädchen fungierte. Der Altersunterschied, das andere Land, die fremde Sprache und Religion, all das schuf eine klare Trennlinie zwischen uns und dem Rest, einen Graben, der noch breiter wurde, weil Monsieur Héger uns Privatstunden gab, was den Neid und die Eifersucht der anderen Schülerinnen erregte. Wir fühlten uns inmitten so vieler Menschen völlig vereinsamt.
Emily, die schon immer in der Gegenwart anderer außerhalb der unmittelbaren Familie still und in sich zurückgezogen war, schien zunächst unter all diesen Schwierigkeiten völlig zu versinken. Aber dann fasste sie sich. »Ich werde diese Zweifel und Ängste besiegen«, sagte sie eines Abends mit Entschiedenheit. »Ich bin entschlossen, nicht zu versagen.« Während die Monate ins Land gingen, redete Emily außer mit mir mit niemandem, es sei denn, sie wäre angesprochen worden. Sie schöpfte ihre Kraft aus
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