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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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Überfall geraten! Monsieur hatte mehr geschrieben als nur Kommentare und mehr getan, als nur sprachliche Fehler korrigiert. Unpassende Wörter waren mit wilder Wut unterstrichen, mit Anmerkungen verstehen wie »
Ne soyez pas paresseuse! Trouvez le mot juste
!« 17 Andere Sätze hatte er erbarmungslos zusammengekürzt. »Sie schwafeln«, schrieb er hier, und »Warum dieser Ausdruck?«, stand an einer anderen Stelle. Wo ich mich zu weit vom Thema entfernt hatte, um mich in einer viel zu ausgeschmückten Metapher zu ergehen, hatte er den ganzen Absatz herausgestrichen und geschrieben: »Bleiben Sie beim Thema, kommen Sie auf dem geradesten Weg zum Ende.«
    Zunächst war ich zutiefst beschämt. Aber dann überlegte ich mir, wie viel Zeit er sich für meine kleine Übung genommen hatte, und tiefe Dankbarkeit ergriff mich. Niemand hatte je zuvor auf diese kritische Weise beurteilt, was ich geschriebenhatte. Unter der Anleitung von Monsieur Héger, das begriff ich nun, würde ich mich einer völlig neuen strengen, aber nicht unwillkommenen Disziplin unterwerfen müssen.
    In den Aufsätzen anderer Schülerinnen, bemerkte ich, brachte er vielleicht hier einen Kommentar an, korrigierte dort einen Fehler und machte ein, zwei kluge Anmerkungen. Aber bei mir duldete er keinerlei Auslassung und nicht den geringsten Irrtum. »Wenn Sie Ihr Thema ausbreiten, müssen Sie erbarmungslos alles ausmerzen, das nicht zur Klarheit und Wahrhaftigkeit beiträgt«, sagte er. »Nur so bekommt Prosa einen guten Stil. Genauso wie ein Gemälde eine einzigartige Perspektive und Wirkung bekommt.« Sein Worte waren für mich wie kostbare Perlen der Weisheit, und ich nahm sie gierig in mich auf und verzehrte mich nach mehr.
     
    Eines Abends Mitte Juli saß ich lesend auf einer Bank hinten im Garten. Dieser zauberhafte Zufluchtsort lag unmittelbar hinter dem Haus. Es gab dort einen gepflegten Rasen, ein herrliches Rosenbeet in voller Blüte und in der Mitte eine zu beiden Seiten von Obstbäumen gesäumte Allee. An einer Seite wurde der Garten von dicht stehendem Flieder, Goldregen und Akazien begrenzt, auf der anderen trennten eine Mauer und Büsche das Pensionat vom nebenan gelegenen Royal Athénée. Weil ein einziges Fenster ganz oben im Schlafsaal des Athénée auf den Garten hinausging, hatte man den von Bäumen beschatteten Weg für die Schülerinnen zum verbotenen Gelände erklärt,
»l’allée défendue«
18 .
    Der Garten – vielleicht eher ungewöhnlich für eine Schule im Zentrum einer Stadt – erwies sich als ein idealer Rückzugsort vor dem lauten Trubel des Schullebens. Er war ein angenehmer Ort, an dem man gut ein, zwei Stunden verbringen konnte, besonders an einem so herrlichen Sommerabend wie heute. Ich war in ein Buch vertieft, als ich den Duft einer Zigarre bemerkte und hinter mir eine tiefe Stimme sagte: »Was lesen Sie, Mademoiselle?«
    Ich zeigte Monsieur Héger mein Buch. Es war eines meiner französischen Bücher, die ich für die Schule lesen musste.
    »Ein hervorragendes Werk, aber nicht gerade fesselnd. Vielleicht möchten Sie sich dies hier borgen?« Unter den Falten seines Paletots zog er ein Buch hervor und reichte es mir. Es war ein schöner Band, mit den Jahren weich und glatt geworden:
Génie du Christianisme
19 von Chateaubriand.
    »Monsieur! Vielen Dank!«
    »Der junge Victor Hugo hat einmal gesagt: Entweder Chateaubriand sein oder nichts. Haben Sie schon eines seiner Werke gelesen?«
    »Noch nie, Monsieur. Aber ich habe dieses Buch in Ihrer Bibliothek gesehen. Der Titel hat mich fasziniert.«
    »Ich denke, die Lektüre wird Sie auch faszinieren. Chateaubriand hat das Buch geschrieben, um die Ursachen der Französischen Revolution zu ergründen und auch die Weisheit und Schönheit der christlichen Religion zu verteidigen.«
    »Ich freue mich darauf, es zu lesen.«
    »Wenn Sie damit fertig sind, sprechen wir darüber, ja?«
    »Ja.«
    Er setzte sich neben mich auf die Bank. Seine Nähe ließ mein Herz erbeben. Ich rückte ein wenig zur Seite, um ihmPlatz zu machen. »Weichen Sie vor mir zurück, Mademoiselle?«, fragte er gekränkt.
    »Nein, Monsieur, ich wollte Ihnen nur mehr Platz machen.«
    »Platz? Das würde ich nicht Platz nennen. Sie haben eine weite Schlucht, einen Ozean zwischen uns frei gelassen. Sie behandeln mich wie einen Aussätzigen.«
    »Ich tue nichts dergleichen, Monsieur. Ich bin nur ein kleines Stück zur Seite gewichen. Ich hielt meine vorherige Position für zu zentral. Ich fürchtete, Sie

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