Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
könnten denken, ich würde mehr als meinen Teil der Bank für mich beanspruchen.«
»Ah, sie behaupten also, dass Ihr Motiv meine Bequemlichkeit war und nicht Ihre Abneigung, die Bank mit mir teilen zu müssen?«
»Genau, Monsieur.«
»Nun, dann akzeptiere ich Ihr Motiv, kann es jedoch nicht gutheißen. Ich habe auch vorher sehr bequem gesessen. Ich bin ein kleiner Mann, Sie sind eine kleine Frau, und dies ist eine breite Bank. In Zukunft besteht für Sie keine Notwendigkeit, für mich zur Seite zu rücken.«
»Ich werde versuchen, mich daran zu erinnern, Monsieur.«
Er schwieg, paffte an seiner Zigarre und hatte seine Aufmerksamkeit auf einen Vogel gelenkt, der auf einem Zweig des in der Nähe stehenden Birnbaums herumhüpfte. Dann sagte er: »Ich stelle fest, ich muss Ihnen gratulieren, Mademoiselle.«
»Mir gratulieren? Wozu, Monsieur?«
»Sie machen große Fortschritte im Schreiben. Sie können sich, denke ich, noch sehr weit entwickeln.«
Sein Ton war aufrichtig, aber das Zwinkern in seinen blauen Augen sollte mich wohl ein wenig bescheiden halten; es tat seine Wirkung. Freude stieg in mir auf, und ich neigte den Kopf, um mein Lächeln zu verbergen. »Vielen Dank, Monsieur.«
»Ich glaube, Sie sind sehr ehrgeizig, was Ihr Schreiben betrifft, nicht wahr? Sie möchten eines Tages bekannt sein? Veröffentlicht werden?«
»O nein, Monsieur! Was hat Ihnen diesen Eindruck vermittelt?«
»Ich entnehme es Ihren Worten auf dem Papier. Ich sehe es in Ihren Augen, wenn wir über die Werke anderer sprechen: ein leidenschaftliches Feuer, das vor Freude, vor Zorn oder Neid brennt, je nach der Qualität des Werkes und Ihrer Laune.«
Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg. Ich fühlte mich nackt und bloß, als hätte er Gefühle gesehen, die ich niemals zeigen wollte. »Ich liebe das Schreiben, Monsieur. Immer schon, seit meinen Kindertagen. Aber ich habe vor, eine Schule zu gründen. Deswegen bin ich hier: um so viel zu lernen, dass ich eine gute und hoch angesehene Lehrerin werde.«
»Ein ehrenwertes Ziel. Aber das Unterrichten schließt doch das Schreiben nicht aus.«
»Aller Ehrgeiz, den ich je auf eine Laufbahn als Schriftstellerin gerichtet hatte, ist längst verflogen.«
»Und warum?«
»Ich habe mich von Herren, deren Meinung mir etwas bedeutet, beraten lassen.«
»Wer sind denn diese Herren, die Sie so bewundern und deren Rat Sie vertrauen?«
»Der erste ist mein Vater.«
»Nun, natürlich müssen Sie auf das Wort Ihres Vaters hören. Väter wissen immer, was für ihre Kinder am besten ist, nicht wahr?« Das Zucken seiner Lippen, während er mich betrachtete, strafte seine Worte Lügen.
»Mein Vater ist ein sehr guter und kluger Mann, und dieanderen sind die großen englischen Schriftsteller und Dichter Robert Southey und Hartley Coleridge.
»Ich habe schon von ihnen gehört. Kennen Sie diese Herren persönlich?«
»Nein. Aber ich habe ihnen geschrieben. Ich habe ihnen Proben meiner Werke geschickt. Sie haben mir beide die gleiche Antwort zukommen lassen: dass meine Werke zwar einiges Talent unter Beweis stellten und von einigem Wert seien, dass sie aber nicht fänden, sie seien einer Veröffentlichung würdig. Und Southey, dem ich mein Geschlecht verraten hatte, merkte noch an, dass Schreiben keine angemessene Beschäftigung für eine Frau sei und ich es besser aufgeben sollte.«
Er lachte. »Ich nehme es den Herren nicht übel, falls die Texte, die Sie ihnen geschickt haben, in einem so überzogenen und schrecklichen Stil geschrieben waren wie Ihre ersten französischen Aufsätze.«
Nun war ich verärgert. »Sie verletzen mich, Monsieur. Wenn Sie meine Aufsätze so furchtbar finden, warum haben Sie sich dann die Mühe gemacht, mir zu gratulieren?«
»Ich habe Ihnen gratuliert, weil Sie sich entschieden verbessert haben! Ich habe von Anfang an gesehen, dass Sie Talent haben – großes Talent –, dem man nur eine Richtung geben muss und das viel Übung braucht. Sie haben genauso reagiert, wie ich es mir erhofft habe. Sie sind gewachsen. Sie schreiben mit größerem Selbstbewusstsein. Sie haben gelernt, Ihre Feder zu disziplinieren. Nun bin ich davon überzeugt, dass Sie sich auf dem richtigen Weg befinden. Dem Weg zu einer knapperen und eleganteren Prosa.«
Wie rasch, dachte ich, konnte er von bösartiger Kritik zu ermunternden Worten des Lobes übergehen! Mein verletzter Stolz erholte sich ebenso schnell. »Habe ich mich wirklich so sehr verbessert, Monsieur?«
»Ja. Und was Mr.
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