Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
Southey und Mr. Coleridge betrifft, so sage ich Ihnen, was ich davon halte. Ich glaube, Sie sollten sehr vorsichtig sein, sich die Ratschläge anderer einzuholen, was Ihr Schreiben betrifft, insbesondere von Männern, die Sie nicht einmal kennen. Wie können diese Fremden wissen, welche Leidenschaften in Ihnen brennen? Welches Recht haben sie, mit ihren Ratschlägen aus der Ferne dieses Feuer zu löschen? Schenken Sie ihnen keine Beachtung, Mademoiselle, mir übrigens auch nicht, wenn Sie gar nicht mit dem einverstanden sind, was ich sage. Ich bin nur Ihr Professor, ich kann Ihnen nur beibringen, was ich weiß. Letztlich müssen Sie auf Ihre innere Stimme hören. Diese Stimme wird Ihre stärkste Führerin sein. Sie wird Ihnen helfen, weit über das hinaus zu wachsen, was ich Sie lehren kann.«
Als der Juli seinem Ende entgegenging, näherte sich auch der Abschluss unseres geplanten sechsmonatigen Aufenthalts in Brüssel. Während Emily und ich uns eines Abends zum Schlafengehen bereit machten, sagte ich: »Es wäre doch schade, hier fortzugehen, meinst du nicht, da es doch noch so viel zu lernen gibt.«
Emily schaute mich verwundert an. »Wie könnten wir es uns leisten, länger zu bleiben? Die Anleihe von Tante Branwell haben wir schon ganz aufgebraucht. Ich möchte nicht um noch mehr Geld bitten.«
»Ich auch nicht, aber wir könnten uns ja vielleicht unseren weiteren Aufenthalt verdienen. Wir könnten Englisch unterrichten und in unserer Freizeit weiter unsere Studien betreiben.«
»Unterrichten ist nicht meine Stärke«, erwiderte Emily. Sie hatte ihre kurze, sechsmonatige Tätigkeit als Lehrerin an der Law Hill School in Halifax zutiefst gehasst. »Aber ich gebe zu, ich würde gern in Französisch und Deutsch noch mehr Fortschrittemachen – und ich nehme an, eine solche Gelegenheit wird sich uns nie wieder bieten.«
Ich war sehr aufgeregt. »Soll ich die Hégers fragen, ob wir bis Weihnachten bleiben können? Wenn sie ja sagen, wärst du dann damit einverstanden?«
»Ich denke schon. Aber was würden wir während der ganzen
grandes vacances
20 machen?«
»Ich werde mir schon etwas einfallen lassen.« Ich lächelte und umarmte sie.
Ich sprach mit Madame Héger, die sich ihrerseits mit ihrem Ehemann beriet. Ich versicherte ihr, ich hätte bereits mehrere Jahre unterrichtet – wenn auch in Wahrheit ein Schulzimmer mit über vierzig Mädchen weitaus mehr war als alles, was ich je zu bewältigen hatte. Schließlich erklärten sie sich mit meinem Vorschlag einverstanden. Madame entließ ihren Englischlehrer für die ersten Klassen, der in der letzten Zeit unzuverlässig geworden war, und stellte statt dessen mich ein. Weiterhin wurde beschlossen, dass Emily, die beim besten Musiklehrer Belgiens Unterricht gehabt hatte, einer bestimmten Anzahl von Schülerinnen Klavierstunden geben sollte. Dafür würde man uns erlauben, unsere Studien im Französischen und Deutschen fortzuführen, und wir würden freie Kost und Logis bekommen. Von einem Gehalt war nicht die Rede, aber wir hielten diese Vereinbarung für fair und willigten unverzüglich ein.
Am 15. August wurde die Schule für die Sommerferien geschlossen. Die Hégers brachen zu ihrem alljährlichen Urlaub am Meer in Blankenberg auf, und alle Lehrerinnen verließendie Stadt. Emily und ich blieben im Pensionat. In diesen herrlichen August- und Septemberwochen erlebten wir zum ersten Mal, wie tropisch heiß ein Sommer sein kann. Und wir hatten endlich Zeit, um Brüssel gründlich zu erkunden. Ich liebte den hübschen Park, die eindrucksvolle Place Royale und die sauberen, breiten Straßen. Wir streiften voller Begeisterung durch die Kunstgalerien, die Kirchen und Museen der Stadt.
Ehe wir es uns versahen, war der Sommer vorüber, das Haus war wieder voller Leben und die Schule hatte angefangen. Meine Erfahrungen als Englischlehrerin bestätigen meine besten und schlimmsten Erwartungen. Ich hatte einmal gedacht, englische Schülerinnen seien schwer in den Griff zu bekommen, aber selbst die ungezogensten Schülerinnen Englands würden einem hier brav wie Kirchenmäuse vorkommen. Die belgischen Mädchen waren wirklich bodenständige, freche und aufsässige Biester, und man hatte ihnen ein gewisses Anspruchsdenken und nur sehr wenig Respekt für Ältere anerzogen. Die erste Klasse sah mich als das, was ich ja auch wirklich war: eine ältere Schülerin, die nun Lehrerin geworden war, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und die sie jetzt mit Madame
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