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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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ich jeden Sonntag allein zu einer der protestantischen Kirchen der Stadtging. Ich hatte keine Freunde in Brüssel, da Mary Taylor nach dem Tod ihrer Schwester fortgegangen war, und ich mochte die anderen Lehrerinnen nicht. Sie waren allesamt unaufrichtige, verbitterte alte Jungfern, die sich ständig nur über ihr hartes Schicksal im Leben beklagten. Ich hatte versucht, Madames freundliches Angebot wahrzunehmen, mich am Abend zu den Hégers in ihren Salon zu gesellen, stellte aber fest, dass mir dies nicht möglich war. Madame und Monsieur waren stets mit ihren Kindern beschäftigt oder in Gespräche vertieft, die mir für meine Ohren zu vertraut schienen. So verbrachte ich außerhalb der Schulstunden die meiste Zeit allein. Mir fehlte Emilys Gesellschaft sehr. Mir wurde erst jetzt bewusst, wie viel sie dazu beigetragen hatte, mein erstes Jahr in Brüssel so überaus angenehm zu machen.
    Am 11. März war Monsieur Hégers Namenstag, das Fest des heiligen Konstantin. 5 Es war üblich, dass die Schüler ihrem Lehrer an einem solchen Tag Blumen überreichten, aber ich hatte stattdessen ein persönlicheres und dauerhafteres Geschenk vorbereitet. Am Abend nach unserer Englischstunde, als Monsieur Chappelle das Schulzimmer bereits verlassen hatte, meinte ich, nun sei die Zeit für meine kleine Überraschung gekommen. Doch ehe ich diesen Gedanken in die Tat umsetzen konnte, seufzte Monsieur, der noch an seinem Pult saß, ein wenig und sagte: »Sie haben mir heute keine Blumen gebracht, Mademoiselle.«
    »Nein, Monsieur.«
    »Und Sie haben auch unter Ihrem Pult keinen Strauß versteckt, denn sonst hätte ich den Duft schon längst bemerkt.«
    Ich unterdrückte ein Lächeln. »Sie haben recht, Monsieur. Ich habe keine Blumen.«
    »Und warum nicht? Es ist mein Namenstag. Sind Sie nicht immer noch meine Schülerin?«
    »Sie können sich doch sicherlich nicht beklagen, von mir keinen Blumenstrauß bekommen zu haben, Monsieur, da Sie heute so viele andere erhalten haben.«
    »Nicht die Menge ist entscheidend, sondern der Überbringer und die dahinter liegende Absicht. Aber warten Sie – letztes Jahr haben Sie mir auch keine Blumen geschenkt!«
    »Nein.«
    »Sie halten nicht sonderlich viel von mir, ist es das? Ich bin eines solchen Geschenks nicht würdig?«
    Nun musste ich beinahe lachen. Ich hätte nicht übel Lust gehabt, das Geschenk, das ich für ihn gemacht hatte, zu behalten. »Sie sind dessen sehr würdig, Monsieur, und das wissen Sie genau. Aber letztes Jahr an Ihrem Namenstag waren meine Schwester und ich gerade einige wenige Wochen in Belgien und daher mit diesem Brauch noch nicht vertraut. Doch selbst wenn wir es gewesen wären, hätte ich Ihnen keine Blumen kaufen können.«
    »Ah!« Er nickte mit hochgezogenen Augenbrauen. »Wegen der Kosten. Blumen sind ja wirklich recht teuer, und um diese Jahreszeit wachsen nur wenige im Garten.«
    »Es sind nicht die Kosten, Monsieur. Es ist etwas völlig anderes. Obwohl ich Blumen sehr gern wachsen sehe, finde ich kein Vergnügen an ihnen, wenn sie aus der Erde gerissen wurden. Sie erscheinen mir dann viel zu vergänglich. Es macht mich traurig, wie ähnlich sie allem Leben sind und dass wir ihr kurzes Dasein noch beschnitten haben. Ich schenke Menschen, die ich liebe, nie Blumen, und ich hege auch nicht den Wunsch, selbst welche zu erhalten.«
    »Eine seltsame Philosophie. Ich frage mich, ob Sie über Nahrung genauso denken? Eine Möhre oder Kartoffel wird doch auch aus dem Boden gerissen. Jedes Gemüse, jedes Obst wird gewaltsam von seinem Stängel oder Stamm getrennt. Und was ist mit dem Lamm, das sogar sein Leben opfern muss, damit Sie essen können? Zittern Sie, wenn Sie es essen, Mademoiselle?«
    »Nein. Ich genieße Birnen, Kartoffeln und grüne Salatblätter genauso wie alle anderen Menschen. Manchmal, das muss ich eingestehen, überkommt mich bei dem Gedanken an das Lamm oder die Kuh ein Gefühl der Reue. Aber so ist die Natur, Monsieur: Wir müssen essen oder sterben. Doch wir brauchen keine Blumen, mit denen wir unseren Tisch schmücken, um weiterexistieren zu können.«
    Er lachte leise und schüttelte den Kopf. »Ein hervorragendes Argument. Und mit genau der gleichen Klarheit der Gedanken und Festigkeit der Überzeugung vorgetragen, wie sie sich auch in Ihren Aufsätzen zeigt. Ich gebe mich geschlagen. Sie haben gewonnen.«
    »Gut. Zufällig habe ich ein Geschenk für Sie, Monsieur – nur nicht von der Art, die in der Erde wächst.«
    »Wirklich?« Er hatte sich

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