Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
Vom Netzwerk:
Rückkehr aus England erlebte ich etwas Verstörendes. Als ich mein Pult in dem noch verlassen daliegenden Schulzimmer aufklappte, stieg ein unerwartetes Aroma in meine Nase: der blassblaue Atem von Monsieur Hégers westindischen Lieblingen – der Duft seiner Zigarre. Dazu kam noch eine optische Überraschung: Jemand hatte den Inhalt meines Pultes umgeräumt. Nicht in Unordnung gebracht, denn alles war ordentlich verstaut, allerdings auf andere Weise als vorher, als hätte sich heimlich eine göttergleiche Hand herabgesenkt, um sanft ein wenig Verwirrung zu stiften.
    Mehr noch, es waren zwei Dinge hinzugekommen. Ein unvollendeter Aufsatz, den ich zurückgelassen hatte und der voller Fehler war, lag oben auf meinen Papieren, inzwischen sorgfältig mit Anmerkungen versehen und korrigiert. Des Weiteren auf meiner abgegriffenen Grammatik und meinem verblichenen Wörterbuch ein brandneues Buch, von dem ich früher einmal angemerkt hatte, ich würde es gern lesen. Auf einem Zettel stand schlicht: »Ausgeliehen. Viel Vergnügen.«
    Mein Herz schlug wild. Dass sich Monsieur Héger trotz der vielen Verpflichtungen, die seine Tage und Abende ausfüllten,tatsächlich die Zeit genommen hatte, an mich zu denken! Dass er zudem, während ich schlief, in dieses Zimmer geschlichen und zu meinem Pult gegangen war, dass seine sanfte, braune Hand den Deckel hochgehoben hatte und dass er da gesessen hatte, die Nase in meine Bücher und Papiere gesteckt, alles gründlich untersucht und dann sorgfältig wieder zurückgelegt hatte, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, seine Machenschaften zu verbergen! Manche Leute, überlegte ich, würden dies als ein Eindringen in ihre Privatsphäre betrachten. Doch ich begriff seine Absicht. Er wollte mir zeigen, dass ihm etwas an mir lag, und mir etwas Gutes tun.
    Aber der Zigarrengeruch brachte nichts Gutes mit sich. Ich klappte den Deckel meines Pultes auf, öffnete das nächstgelegene Fenster und wedelte das Buch in der frühmorgendlichen Brise kräftig hin und her, um den Geruch zu beseitigen. Doch leider flog ausgerechnet in diesem Augenblick die Tür zum Schulzimmer auf, und Monsieur erschien. Er bemerkte, was ich tat, zog seine Schlüsse daraus und verzog ärgerlich das Gesicht. Er eilte auf mich zu. »Ich sehe, mein Geschenk missfällt Ihnen.«
    Ich zog das Buch rasch wieder zum Fenster herein. »Nein, Monsieur …«
    Ehe ich mehr sagen konnte, riss er mir das Buch aus den Händen. »Ich werde Sie nicht mehr damit belästigen.« Er ging zum glühenden Ofen und öffnete die Ofentür. Zu meinem Entsetzen begriff ich, dass er beabsichtigte, das Buch hineinzuwerfen.
    »Nein!«, rief ich. Ich stürzte zu ihm hin und packte das Buch. Es folgte ein Gerangel. Hätte er wirklich gewinnen wollen, so hätte es keinen Wettkampf gegeben, denn meine Kraft, obwohl meine Wut sie mächtig hatte anwachsen lassen, hätte sich mit der seinen nicht messen können. Endlich ließ er los,und ich konnte den Schatz an mich reißen. Mit Erleichterung und klopfendem Herzen sagte ich: »Es ist ein wunderschönes neues Buch! Wie können Sie nur daran denken, es zu verbrennen?«
    »Es ist zu schmutzig; es riecht zu stark für Ihre zarte, empfindliche Nase. Was wollen Sie damit?«
    »Ich möchte es lesen! Und«, fügte ich mit einem halb verborgenen Lächeln hinzu, »ich bin dem guten Geist dankbar, der es mir geliehen und noch dazu meinen Aufsatz korrigiert hat.«
    Ich meinte, in Monsieurs Augen den Anflug eines Lächelns zu entdecken. »Der Zigarrengeruch beleidigt also Ihre Nase nicht?«
    »Ich muss zugeben, ich mag ihn nicht. Weder das Buch noch Sie gewinnen dadurch. Doch ich nehme ihn gern in Kauf, Monsieur, und bin dankbar.«
    Nun lächelte er, lachte vielmehr laut, während er sich umwandte und aus dem Zimmer schritt.
    In den folgenden Wochen fand ich immer wieder solche Schätze in meinem Pult. So aufmerksam ich auch war, nie ertappte ich das Zigarren rauchende Phantom auf frischer Tat. Meist tauchte ein klassisches Werk wie durch Zauberhand oben auf meinen Papieren auf, ein oder zwei Mal entdeckte ich einen Roman als leichte Lektüre. Mit der Zeit gewöhnte ich mir sogar an, die Bände an die Nase zu halten, um ihr kräftiges Aroma einzuatmen. Ich war außerordentlich erfreut, dass Monsieur Héger eine so vertraute Beziehung zu meinem Pult pflegte.
     
    In jenem ersten Monat war ich sehr zufrieden, obwohl das Wetter den ganzen Februar und März hindurch bitter kalt blieb. Ich bibberte unter meinem Umhang, wenn

Weitere Kostenlose Bücher