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Die Geheimnisse Der Tinkerfarm

Die Geheimnisse Der Tinkerfarm

Titel: Die Geheimnisse Der Tinkerfarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams , Deborah Beale
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Türen geschlossen hatte, nahm er die Kapuze des Sicherheitsanzugs ab, den er zum Schutz gegen den giftigen Speichel der Bestien trug. Er stieg die scheppernden Metallstufen zu Lucinda hinunter, während die Basilisken angewidert zwischen den Pfützen einherstaksten und jeden neuen Frevel an ihrer vertrauten Umgebung wütend bezischten: Sägemehl und Sand, die jetzt wieder neu und sauber waren, alle Oberflächen freigespritzt von ihren Dunghaufen.
    »Was geschieht, wenn er wirklich weg ist?«, fragte sie noch einmal.
    »Hier bei euch macht man ein Testament, ja?«, fragte Ragnar zurück. »Einen letzten Willen? Ein Mann schreibt auf, wie sein Schatz verteilt werden soll, wenn er tot ist. Aber vorher wird jemand … einer von den Stadtvorstehern, wie heißen die bei euch …?«
    Sie überlegte. »Die Polizei? Die Behörden?«
    |102| »Die Behörden, ja. Sie werden jemanden schicken, davor hat Gideon uns immer gewarnt. Und wie könnten wir das zulassen? Wie könnten wir irgendwem die Zustände hier erklären? Nein, Lucinda«, Ragnar wurde sehr ernst, »glaube mir, es ist viel besser, wir finden Gideon lebendig. Viel besser.«
    Er war jetzt unten angekommen und sah kopfschüttelnd zu, wie Desta ihre himmelblaue Zunge um Lucindas letzte Möhre schlang und sie in ihr Maul zog. Zufrieden ließ die Drachin ihre langen Zähne blitzen und schaute nach, ob es nicht doch noch mehr gab. Haneb hatte recht gehabt, Desta fraß wirklich gern Möhren.
    Genug für heute.
Lucinda bemühte sich, jeden Gedanken klar und deutlich zu fassen.
Das waren alle. Aber bald gibt es wieder Möhren. Das würde dir doch gefallen, oder?
    Die kleine Drachin, die doch schon wesentlich größer war als Lucinda, blickte sie mit ihren bernsteingelben Augen durchdringend an, dann drehte sie sich um und stelzte in ihrer unbeholfen wirkenden Drachenart auf den Hinterfüßen und den Ellbogen der angelegten Flügel davon. Doch bevor Desta es sich auf ihrem Nest aus Stroh und alten Matratzen gemütlich machte, fing Lucinda den Hauch eines fröhlichen, gierigen Gedankens auf, schwach wie eine leichte Sommerbrise. Verglichen mit ihren eigenen war dieser Gedanke wortlos, aber er hatte doch eine Bedeutung, die sie verstand.
    Ja. Mehr. Bring mehr.
    Im ersten Moment dachte Lucinda, sie hätte es sich nur eingebildet, dann breitete ihr Herz in der Brust die Flügel aus.

    |103| Während der Pferdewagen dahinrollte, betrachtete Lucinda die in der Nachmittagshitze schimmernden Hügel. »Meinst du, dieser grässliche Kingaree hat irgendwas mit Gideons Verschwinden zu tun?«, fragte sie nach einer Weile.
    Ragnar schüttelte seinen großen Zottelkopf. »Ich glaube es nicht, aber es könnte trotzdem sein. Er ist ein verschlagener, böser Mann.«
    »Das erzählen mir alle, und ich will’s gern glauben. Aber was hat er getan?«
    Ragnar blieb eine Weile stumm, während das Pferd neben dem kleinen See anhielt, den Gideon manchmal Eliots Lagune nannte. Die Seeschlange, die dort lebte, war nicht auf regelmäßige Fütterung angewiesen – das Wasser musste nur zweimal im Jahr neu mit Fischen besetzt werden –, aber Walkwell und der Wikinger sahen alle paar Tage nach Eliot. Jetzt aber richtete Ragnar nicht einmal den Blick aufs Wasser.
    »Vor dem Feuer war alles besser«, sagte der Hüne unvermittelt.
    »Als Gideons Labor abbrannte, meinst du?«
    Er nickte. »Grace war schon mehrere Jahre fort. Gideon ging mit seinem glänzenden Ding fast jeden Tag in diese Spalte und suchte nach ihr, aber er machte das heimlich.«
    »Glänzendes Ding … Du meinst das Kontinuaskop?« Das Instrument, von dem Tyler ständig erzählte.
    Ragnar nickte abermals. »Er nannte das ›sammeln‹. Grace fand er nicht, aber dafür brachte er Tiere mit … und Menschen. Ich war einer der Menschen, die er sammelte. Es war ein Wahnsinn – aber eine Art Wahnsinn, die ich verstehe.« Ragnar drehte die Zügel in seiner mächtigen Pranke zu einer Schlaufe. »In meiner alten Heimat hatte ich einen Freund, dessen Familie von Seeräubern aus dem Süden getötet wurde. Von da an war mein Freund ebenfalls ein Toter, auch wenn er |104| noch herumging. Er schwor, für jeden der Seinen, die ihm genommen worden waren, werde er zwei der Seeräuber töten. Er legte das als Sühne zu zahlende Gold bereit, das wir ›Wergeld‹ nennen, damit seine Nachbarn und Verwandten nicht die Folgen seiner Taten zu tragen hatten, dann verschenkte er alles andere, was er besaß, sang sein Todeslied und stach in einem kleinen Boot in

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