Die Geheimnisse der Toten
Ganze bloß erfunden und Ihnen gesagt, was Sie hören wollten.»
Für eine Weile herrschte Schweigen. Abby wollte an ihrem Kaffee nippen und stellte fest, dass der Becher leer war. Draußen donnerten LKWs über die Autobahn.
«Gehen wir einmal davon aus, das Gedicht ist echt und wurde von diesem Porfyrius verfasst, wie Sie vermuten», sagte Michael schließlich. «Wenn es denn eine geheime Botschaft enthält, wie könnten wir sie entschlüsseln?»
«Es ist wie … ich kenne das englische Wort nicht.»
Er sagte etwas auf Serbisch, was Abby aber nicht verstand. Frustriert starrte Nikolić auf den Tisch und suchte nach einer Übersetzung. Plötzlich klarte sein Gesicht auf. Er griff nach der Papierunterlage, die vor ihnen lag, und drehte sie herum. Darauf abgebildet war eine bunte Collage aus Fastfood-Gerichten, tanzenden Comictieren und Rätseln für Kinder: ein Labyrinth, Zahlen, die, wenn sie miteinander verbunden wurden, ein Bild ergaben und ein Wortsuchspiel.
Auf Letzteres tippte Nikolić mit dem Finger. «Es ist genau wie das hier. Lesen Sie das Gedicht von vorn nach hinten, von hinten nach vorn oder diagonal, und suchen Sie nach Wörtern, die darin versteckt sein könnten. Verstehen Sie?»
Abby und Michael nickten. Unter einem Raster aus Buchstaben waren zehn Wörter aufgelistet, die die Kinder finden sollten.
«Da weiß man, wonach man sucht», sagte Abby.
«Tja, in den Gedichten von Porfyrius ist das nicht der Fall.» Nikolić lehnte sich zurück und kritzelte etwas auf die Papierunterlage. «Normalerweise hat man damals die Buchstaben, auf die es ankam, mit roter Tinte geschrieben oder unterstrichen. Manche Experten behaupten, sie seien dem Kaiser auf Goldtafeln präsentiert worden, auf denen Edelsteine die Schlüsselbuchstaben hervorgehoben haben. Aber eine solche Tafel ist uns nicht erhalten geblieben.»
«Das wäre mal ein hübscher Fund», stellte Michael fest.
Nikolić ignorierte ihn. Selbstvergessen beschäftigte er sich mit dem Rätsel auf der Unterlage.
«Porfyrius’ Gedichte waren sehr viel verwickelter. Die verborgenen Wörter ergaben nicht nur eine Nachricht, sondern stellten auch Bilder dar.»
«Was soll das heißen?»
Nikolić umkringelte mit seinem Stift ein paar Buchstaben in dem Raster, willkürlich, wie es schien. Als er damit fertig war, setzten sich die Zeichen, die er gemalt hatte, zu einem Strichmännchen zusammen. «So etwa. Porfyrius war sehr clever. Manchmal bestanden seine Bilder aus den Buchstaben kurzer Wörter oder Zahlen. Für Konstantins Vicennalien, sein zwanzigstes Thronjubiläum, schrieb er ein Gedicht mit einer versteckten Nachricht in Gestalt der römischen Zahl Zwanzig, also XX. In einem anderen berühmten Gedicht war die Botschaft in Form eines Schiffes dargestellt, in manch anderen die Titel des Kaisers oder sein Monogramm.»
Abby starrte ihn an. «Sein Monogramm?»
«Das Chi-Rho. Wie in seinem labarum .»
«Da hätten wir’s wieder, dieses labarum », sagte Michael. «Das muss es sein.»
Abby aber dachte weiter und schneller. Sie zog Grubers Foto von der Schriftrolle aus der Hülle.
«Wo ist hier das Gedicht?»
Nikolić zeigte mit dem Finger darauf. Viel war auf dem dunklen Blatt nicht zu sehen, aber immerhin konnte Abby einen Block aus dunklen Schriftzeichen ausmachen, die ihr wie Zweige auf schlammigem Wasser vorkamen. Sie zählte acht Zeilen.
Mit ihren Zeigefingern und den Daumen legte sie einen Rahmen um den Text und hob dann beide Hände bis auf Brusthöhe an, ohne die Position der Finger zu verändern.
Manche Experten behaupten, sie seien dem Kaiser auf Goldtafeln präsentiert worden, auf denen Edelsteine die Schlüsselbuchstaben hervorgehoben haben.
«Es gibt noch eine goldene Halskette», sagte sie, worauf Michael ihr einen warnenden Blick zuwarf. Doch sie fuhr unbeirrt fort: «Wir haben sie zusammen mit der Schriftrolle entdeckt. Der Anhänger ist quadratisch und trägt dieses Chi-Rho-Zeichen in der Mitte. Er würde gut zu dem Gedicht hier passen.» Sie erinnerte sich an das kühle Metall auf ihrer Haut, auch daran, wie sich das Licht in den Steinen brach. «Darin waren Perlen eingesetzt, vielleicht anstelle der Buchstaben, auf die es ankommt. Könnte doch sein, oder?»
Nikolić starrte sie an und schien nicht recht zu wissen, ob er ihr glauben oder sie für verrückt erklären sollte.
«Und wo bitte ist diese Kette?»
Den Blick auf Michael gerichtet, zuckte Abby mit den Schultern. Was haben wir zu verlieren?
«Beim britischen
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